Berthold Daut:
Gedichte vom 50. und 52. Breitenkreis
Wiesbaden (Galeas Labhras) Dezember 2000 (Neuauflage 2004)
Diese letzte große autorisierte Sammlung
seit „Stimmen und Schatten“ (1993) umfasst vierundzwanzig Gedichte in drei
Abteilungen. Sie sind ungebunden geblieben, jedoch sehr schön in Aldonecaps DB
auf Epson Stylos Color 640 gesetzt. Typographisch ist das alte Problem der
Klein- oder Großschreibung dadurch gelöst, das alles in Majuskeln geschrieben
steht. Diese Wahl bewirkt eine gewisse Schwere, scheint wie gemeißelt,
kartographiert und vielleicht dadurch dem Titel angemessener. Der 50.
Breitengrad läuft durch Wiesbaden, der 52. durch Südirland, so dass sich thematisch wie
personell eine Verbindung durch die Topographie ergibt. Der erste Block enthält
sechs Gedichte auf und um Wiesbaden, deren erstes, „Wiesbaden 1944“ - die
Bombardierungen und der Tod des Freundes - bereits in den „Elf Gedichten“ den kleinen
Zyklus eröffnete. Das sind wie auch das Gedicht an den Antiquar von Goetz bemerkenswerte
Wiesbaden-Gedichte, die persönlich erfahrene Zeitgeschichte punktuell erinnern.
Der zweite Block stellt sieben irische
Inhalte vor und hat im Zentrum einen Besuch am Grabe von William Butler-Yeats.
Wiederum schließt mit elf Gedichten danach eine letzte Zusammenschau in einem
umfassenderen Blick auf Paris, Prag und Griechenland, wo geographisch und
geistig der Horizont zurückliegender Erfahrungen abgeschritten wird.
A: Wiesbaden
Die ersten drei Gedichte knüpfen der Form
nach an die „Zehn Gesänge“ aus „Stimmen und Schatten“ an: es handelt sich um
Zehnversler mit unregelmäßigen Rhythmen vom Alexandiner bis zum Hexameter u.a.m.
Während „Wiesbaden 1944“ also biographisch narrativ ist, erlebt man
„Andreasmarkt 1952“ nach als kompakte nominale Beschreibung, die in der ersten
Strophe in eine dynamische Drehbewegung gerät, denn die Betrachter dieses
bunten exotischen Kirmes sind Primaner. Das herangewachsene jugendliche Ich
bricht im dritten Text „Aquis Mattiacis“ (den Wassern der Mattiaci) mit seinen
Freunden aus der Stadt auf. Der lateinische Titel spielt auf die Inschrift im
Kurhaus von 1887 an, das der antiken Göttin Hygieia, der Tochter des Asklepios,
gewidmet ist. „Mattiaci“ sind die germanischen Ureinwohner Wiesbadens, die
Chatten.
STADT,STAMMORT,DAMPFBAD
VERMISCHTER GEFÜHLE,
JAHR
ÜBER JAHR BLIEB ICH UND FLOH, VERWUNDERT
VIEL
ÜBER HÄUSLICHE REGELN, INS ZELT DER TRÄUMER;
STEINBRÜCHE
HALLTEN VON UNSREREN LIEDERN, FEUER
BRANNTEN
INNEN UND AUSSEN, SCHWÜRE DER FREUNDSCHAFT,
BLUTIG
BESIEGELT RIEFEN HEROISCHE ZEIT…
…Am
Ende der Aufbrüche empfängt den durch sie verwandelten Zurückkehrenden wieder die
Heimatstadt mit ihrer antikischen Aura, deren Schleier weggerissen wurden:
…
SIEGEL
SIND HEUTE GESETZT; DAS SCHÖNESANK WIEDER HINWEG.
SCHEINEN KANN ES ALLEIN IM BILD DES GEDICHTS.
SCHEINEN KANN ES ALLEIN IM BILD DES GEDICHTS.
Das vierte der Gedichte besteht aus fünf
ungereimten Vierzeilern: „Die starken Frauen meiner Vorfahren“ und beschreibt
nicht ohne Respekt diejenigen Frauen der Familie, die aus „Waldgebirgen“ und „rauhen
Nestern“ vor Generationen aufbrachen, um das Glück in der Stadt zu suchen und
zu finden.
Die beiden letzten Wiesbaden-Texte sind
Spurensuche und imaginative Evokation antikischer Elemente in der Gegenwart.
„Am Römertor“, das 1902 neben Resten einer antiken Wasserleitung wiedererrichtet
worden war, vermischen sich in einem Fest Zimbeln und Pauken neben den Ruinen
der Synagoge, während schreiende Plakate kontrastiv zu touristischen Reisen
nach Ninive und Rom einladen.
Eine letzte „Botschaft an einen römischen
Legionär“ ist eine solidarische Einladung an den Fremden, die römische
Zivilisation zugunsten eines germanischen Alltags zu verlassen:
LASS
UNS KÖRNER ZERREIBEN AM FLUSSUFER,
SPEISE
FÜR DIE GÖTTER DER WÄLDER
SIE
WECHSELN TÄGLICH IHR GESICHT.
B: Vom 52. Breitengrad
Hier
zunächst die Titel der sieben Gedichte:
-Medieval
Banquet
- Leamcon Tower
-Die Buch von
Yougal
-Thoor Ballylee
-Yeats
Grab, Drumcliff
-Der
Wind
-Das
Licht und das Alphabet
Das „Medieval Banquet“ weist nunmehr in den
englischsprachigen Bereich und bildet zeitlich und formal (Zehntversler) den
Übergang in den keltischen Westen, von dessen touristischer Ausprägung („ein täuschendes Zeitbild“) sich sofort
distanziert wird:
NEIN,
NICHT LÄNGER DIES LAND DER SÜFFIGEN PRÜDERIE!
AUF
KLAPPERNDE ZIEGEL PEITSCHT UNSER SALZIGER WIND;
REITET
AUF WOLKEN UND SAND OHNE SPOREN UND ZÜGEL.
Man scheint im County Cork angekommen zu
sein inmitten der Natur. Aber was lastet im Gepäck und was nimmt man, von
Voreinstellungen ungeprägt, so wahr, wie es vielleicht ist? Das war immer bei
Berthold Daut die Frage im fremden Terrain, sobald seine Versprachlichung der
„couleur locale“ oder des „genius loci“ durch das Gedicht ansetzte.
In Bezug auf Irland hatte jeder Reisende
natürlich Heinrich Bölls „Irisches Tagebuch“ (1957) im Kopf und kannte
Westirland mit „Achill Island“ schon, ehe man nach Mayo oder Connemara aufbrach,
in ein vergessenes Land, woher man zumindest mit einem authentiscen weißen
Strickpullover heimkehrte. Andere kamen von Dublin her, hatten versucht,
„Ulysses“ von James Joyce zu lesen, ehe sie Zugänglicheres in der Folklore
fanden.
Berthold Dauts Interessen und Erfahrungen
sind von individuell komplexer Prägung durch frühe Fahrten in die keltische Bretagne
u.a. nach Carnac, durch Mythologie und sein geographisch-historisches Interesse
an Megalithkulturen, durch seine späten Forschungen in der Alchemie und vor
allem durch seine Lektüren, die, wie wir sahen, sich in seiner lyrischen
Produktion wiederfinden. Er ist selten ein unbefangener Dichter, eher ein gelehrter,
ein „poeta doctus“, dessen Wahlverwandter in dieser letzten Periode der Ire
W.B.Yeats wird. Methodisch bedeutet das für den Kommentator, die Gedichte quasi
einzurahmen durch knappe, notwendige Informationen, die Verse aber für sich
selber sprechen zu lassen, obwohl in dem einen oder anderen Zusammenhang wie
z.B. der Alchemie umfangreiche Materialien im Nachlass weiter verfolgt werden
könnten.
Wir nähern uns auf dem 52. Breitengrad der
Küste Südirlands mit einem markanten Leuchtturm bei Hull/Schull in der Nähe des
neuen Wohnsitzes. Er ist personifizierte Geschichte.
LEAMCON TOWER
IRLANDS
TÜRME GRÜSSEN SICH NACHTS
MIT
GRELLEM GELÄCHTER,
RUFEN
SICH BEISSENDE WITZE ZU
MIT
RUINÖSEN POINTEN:
ZAHNLOSE
ALTE MÄNNER SIND SIE,
DIE
KAUM EINER VERSTEHT.
SCHWARZE
WURZEL; NABE DES HORIZONTS,
EINE
STERNKARTE DROBEN, EINE SEEKARTE HIER,
GRAUKOPF
AUF DEM QUARZIT
EINÄUGIGE
ÜBER-SICHT:
SELBST
BONAPARTE KEHRTE VOR EUCH UM.
STECKT
DIE FACKELN AN,
HALTET
DIE FRIERENDEN KNOCHEN
ÜBER
DIE KOHLEBECKEN!
WAR
ES HIER; WO EINER DIE ODE AN DEN WESTWIND SCHRIEB?
Und da ist sie wieder am Schluss, die
literarische Spurensuche, hier in Form einer Frage, auf die der Dichter die
Antwort sicherlich kennt, die Analogie jedoch wie ein Zierrat an den Schluss
stellt und die Situation dadurch überhöht. Nein, Percy Bysshe Shelley schrieb
seine spätherbstliche „Ode To The West Wind“ 1819 nicht hier, sondern in
Italien am Mittelmeer, in dem er später umkam. Es sind übrigens fünf Sonette
mit Terzinen und abschließenden doppelten Endversen.
Der nächste Ausflug entlang der Küste geht
nach Youghal zwischen Cork und Waterford:
DIE BUCHT VON YOUGHAL
DU
SAGTEST: DEIN MEER
DARIN
WILL ICH VERGEHN.
ICH
SAGTE: DEIN LICHT
DARIN
WILL ICH STEHN.
WOGENDE
SEE
BEDECKTE
DIE MUSCHEL IM SAND.
KORALLE
ERGLOMM
IN
FLÜCHTIGEM BRAND.
O
STEINE ROLLT LOS!
DIE
BUCHT VON YOUGHAL IST SCHWARZ
UNTER
DEM LEILACH DER WINDE.
WIE
GLITZERT DAS SALZ!
Leichlach ist ein urspünglich mittelhochdeutsches
Wort für Leinentuch, das hier metaphorisch Wind und weißlicher Salzfläche in
ihrem Zusammenspiel versinnbildlicht.
Zwischen Limerick und Galway bei Gort in
Westirland liegt
THOOR BALLYLE
DAS
IST ALSO DEIN TURM, YEATS,
DAS
IST DEIN GRÜNER FLUSS
WIR
GEHEN AN EINEM SONNIGEN TAG
DEN
ULMENWEG ENTLANG
DEINE
STEINERNE TREPPE
WIR
SEHN AUS DEINEM FENSTER:
HIER
HAST DU GESONNEN
WIE
ES DICHTER EIGEN
DIE
GERN AUF FLIESSENDES WASSER SCHAUN
WÖRTER
HERANTREIBEN LASSEN
UND
STIMMEN:
HIER
BLÜHTE DIE ALCHYMISCHE ROSE WIEDER AUF
WENN
IN DER MITTERNACHT
DER
BLEICHE MOND UND SEIN GEHELMTER GLANZ
DICH
TRIEB:
Yeats hatte zwischen 1919 und 1929 diesen
festungsartigen Turm aus dem 16. Jahrhundert vor allem im Sommer mit der
Familie bewohnt und nach ihm ist seine wohl berühmteste Gedichtsammlung, „The
Tower“ von 1928 benannt. Heutzutage befindet sich dort ein „Yeats“-Museum. Die
laut Dauts Gedicht hier wieder aufblühende “alchymische Rose“ ist freilich nur
in persona des Verfassers von „Rosa Alchemica“ zutreffend, denn dieser so betitelte
Bericht stammt von 1913 und ist nicht im Turm entstanden. Das hindert Berthold
Daut in seiner empathischen Aneignung von Ort und Person nicht, einige
versteckte Anspielungen in seinem Gedicht anzubringen. Die großen kosmischen Wandlungssymbole
der Alchemie verbinden sich mit dem Dichter: „hier hast du gesonnen“,
mitternächtlich zwischen dem Zeitfluss (am echten grünen Fluss) vom Mond
angetrieben, dessen Glanz noch verdeckt scheint, wobei „gehelmt“ wohl auf Yeats
Sammlung „The Green Helmet“ (1910) verweist. Sieht man in Yeats „Rosa
Alchemica“ versteht man „aufblüht“ als erste, initiierende Begegnung mit einer kultischen
Alchemie.
Diese Verwendung alchemischer Symbole geht
weiter als Dauts Anlehnungen in den literarischen Hommagen an Lasker-Schüler,
Celan oder Char. Um dies zu verstehen, müssen wir uns auf Spurensuche bei Yeats
begeben, um danach zu dessen encodierten Spuren im Turmgedicht Daut
zurückzukehren.
In seinem Bericht von 1913 fasst Yeats im
Rückblick auf eine kleine eigene Arbeit namens „Rosa Alchemica“ die
wesentlichen Erkenntnisse seiner Recherchen zusammen: Die alchemistische
Doktrin sei nicht nur eine chemische Fantasie, sondern eine Philosophie, die
die Welt, die Elemente und den Menschen selber beträfe. Die Suche nach Gold sei
die nach einer universellen Verwandlung aller Dinge in etwas Göttliches und
Unvergängliches. Für ihn selber ermögliche diese Perspektive die Verwandlung
von Leben in Kunst mit einem maßlosen Wunsch nach einer völlig spirituellen
Welt. Sein Haus in Dublin war mit allerlei inspirativen Kunstwerken und für ihn
notwenigen Symbolen dekoriert, unter anderen mit einem Madonnenbild von Carlo
Crivelli, in der Maria eine Rose in der Hand hält. Auch eine Reihe Symbolfiguren
gehörten dazu, von denen die Alchemisten annahmen, dass ihre Zerstörung eine
Suche nach einer Essenz sei, die alles Vergängliche auflöse. In einer Träumerei
glaubt er sich an der Schwelle dieses Prozesses, wird dabei jedoch aufgeschreckt
durch die Ankunft seines alten Freundes Michael Robartes. Dieser gehört dem
Orden der Alchemischen Rose an und unterzieht ihn mit Hilfe von Duftessenzen
einem hallluzigenen Experiment, in dem die Rosenblätter sich in einzelne
Gottheiten verwandelt haben. Yeats fällt in eine Vision, eine „hysterica
passio“, unendlicher Dinge, aus der er
völlig verwandelt erwacht und mit seinem Freund aufbricht zum Tempel des Orden
am Meer, wo eine kultische Tanz-Initiation in einem runden Raum mit einer
unsterblichen Tänzerin stattfindet und wo er in der Bibliothek auf die Werke
großer Alchemisten und das Rosensymbol trifft.
Soweit die Hinweise zum Zitat der
„alchymischen Rose“. Yeats Interesse an okkulten Zusammenhängen (Theosophie,
Mystik, Neuplatonismus u.a.m.) setzt allerdings schon sehr viel früher an und
entwickelt sich durch seine medial veranlagte Ehefrau nach dem 1.Weltkrieg zu
einer tranzendenten Manie, die seine literarische Produktion direkt und
indirekt markiert. Dieser persönliche Synkretismus verbindet poetisch
symbolische Denkformen mit den natürlichen Bildern der Welt, und im besonderen
Irlands. Diese Ambivalenz geht immer in Richtung auf eine Spiritualisierung und
damit auch Entgegenwärtigung des Konkreten. Die irische Renaissance gegen Ende
des 19. Jahrhunderts, zu der Yeats mit „The Celtic Twilight“ (1893) und seinen
Theaterstücken maßgeblich beitrug, hatte die Grundlagen für eine
romantisch-mytstisch-mythologische Naturbetrachtung gelegt.
Leitsymbole sind bei Yeats, wie gezeigt, die
Rose („The Rose“, 1893) mit zunehmend alchemistischen Aspekten, die Gestirne,
Türme (S. 270: „Symbols: A storm-beaten old watch-tower“) und besonders die megalithischen
Steinkreise („gyres“) als verweisende spirituelle Formen, von denen es in
Irland eine ganze Reihe mehr oder weniger gut erhaltene gibt. „The gyres“
eröffnet „Last Poems“ (S. 337) und zugleich die Vision einer Ewigkeit wie schon
zuvor in „The second coming“ (S. 210 f.).[1]
Berthold Dauts Aufbruch nach Irland trug ihn
zunächst in eine symbolische Naturwelt, die sich im Lande der Nacht des ersten
der Zehn Gesänge („Stimmen und
Schatten“, S. 104) auftat: Der Wind
Verschwisterte
mich den Wipfeln riesiger Sternenbäume.
IHR
steht im Steinkreis, Ihr tragt schimmernde Mäntel und Schuhe,
Gemessen
geht ihr die Linien ab, die Muster des Seins.
Auf den Spuren von Yeats im Turm ist es
demnach ganz selbstverständlich, dass die Dinge in einem symbolischen
Bedeutungszusammenhang stehen, der hier kein untergeschobenes hermeneutisches
Konstrukt ist. Berthold Daut nimmt diese doppelte Optik des großen verwandten Iren
ein, die und der sich hier konkret als Ort und Gedicht vergegenwärtigen. Daut hat äußerlich wie innerlich gefunden, was er
lange suchte. Er ist auf dem 52. Breitenkreis, nicht etwa auf dem
Breitengrad, weiterhin auf Spurensuche im Nordwesten und zugleich in
Yeats letzten Gedichten:
YEATS GRAB. DRUMCLIFF
EIN
ANSPRUCHSLOSES GRAB, GEREIHT,
AUF
GRAUEM KIES ZERKNIRSCHT DIE ZEIT
DEN
SPRUCH MIT KALTEM AUG
DER
LEBEN ODER TOD VERHEISST.
REITER;
REIT ZU; DER MORGEN GRAUT,
DIE
NACHBARN KEHREN ZURÜCK INS GRAB
VON
KÜSTEN SCHREIT DER WESTWIND LAUT
UND
VIELER HUFE HELL GETRAB!
WIR
BRACHTEN EINEN BLUMENSTRAUSS
VOM
STRASSENRAND ZU DEINER RUH.
DU
MIEDEST MENSCH- U/ND MEERGEBRAUS
UND
ZOGST DEN LETZTEN VORHANG ZU.
In Yeats letztem Gedicht „Under Ben Bulben“
vom 4. September 1938 – er starb am 28.Januar 1939 – verfügte er über seinen
Begräbnisplatz :
Under bare Ben
Bulben’s head
In Drumcliff
churchyard Yeats is laid.
An ancestor was
rector there
Lomg years ago,
a church stands near,
By the road an
ancient cross.
No marble, no
conventional phrase;
On limestone quarried
near the spot
By this command
these words are cut:
Cast a cold eye
On life, on death.
Horseman, pass by!
(Poems,
S. 400 f.)
“Der Wind” setzt diese irische Passage
Berthold Dauts fort und versöhnt den Leser in Erwartung einer einseitigen irisch-symbolischen
Manier. Dieser Text weht aus Kindertagen herauf und ist reine Erinnerung. Näher
an einer okkulten Vision beschließt „Das
Licht und das Alphabet“ diesen Block: Das Ich träumte, ein bärtiger Mann mit
Psalter führte ihn in eine mumienhafte Runde verhüllter Figuren mit Büchern auf
dem Schoß, aus denen Licht emporstieg.
MEIN
FÜHRER TAT DEN PSALTER IN DIE MITTE,
DA
WICH DAS MURMELN DEM GESPANNTEN SCHWEIGEN,
ALS
OB EIN UNSICHTBARER NIEDERGLITTE:
ICH
FÜHLTE WIRBEL MEINE HAARE STRÄUBEN.
Den dritten und letzten Block mit elf
Gedichten vom 50. und 52. Breitenkreis kennzeichnet
eine große thematische Heterogenität, über die wir hier nur noch einen knappen
Überblick geben. Davon sei das letzte Gedicht „In einem anderen Ton“ in unser Schlusskapitel
mit Berthold Dauts letzten drei Gedichten vorschoben. Diese Texte sollen dann nicht
mehr kommentiert werden.
Der „Passage Choiseul“im Pariser 2.Arondissement
ist eine der letzten, von der Bauwut bedrohten kleinen Passagen aus dem 19.
Jahrhundert. Berthold Daut erlebt diesen vergessenen Ort voller besonderer
„Männer mit saturnischen Stirnen“ und ihrem nächtlichen Ritual, das, da fern
vom jüdischen Viertel, eher eine Vision des Autors ist, der die „entgrenzten
Köpfe“morgens mit leeren Mägen erwachen lässt.
In „Prag. Dezember 1990“ wird ebenfalls am
Schluss dem vergangenen goldenen Zeitalter nachgespürt, das seiner Wiedergeburt
am „Boden alter Kelche“ ent egenharrt und im Schmelzofen der Alchemisten
(„Athenor“) noch matt glüht.
„Hieronymus im Gehäus“ ist ein Bildgedicht
auf den heiligen Bibelübersetzer vor seinem Buche, wegen des animalischen
Dekors eher auf den Stich Dürers als auf das Bild von Da Messina bezogen.
Ebenfalls nah der hermetischen Metaphorik
ist „Scintilla“ (der Funke), der sich entflammen soll, DEN STARREN KRIST ZU
TAUEN!
Die folgende „Ode an Heraklit“ folgt in
ihren knappen Versen keinem bekannten Odenschema. Sein poetisches Andenken
steht im Zusammenhang mit den Elementen Licht/Blau, Flut und Stein, also der
Vier-Elementen-Lehre der Vorsokratiker, die jüdische, christliche und
hermetische Deutungen erfahren haben.
GANZ
ZU MIR
HEIMGEKEHRT:
DEN
PHALLISCHEN SPRUCH
GEZÜCKT.
Sucht
man unter den Fragmenten nach einer Erklärung , - von Heraklit stammt „Das
Wesen der Dinge hat die Angewohnheit, sich zu verbergen“ (Fragment 123: „physis
krypthestai philei“)), geht das wohl weniger in die Richtung seiner Kritik an
den Dionysuskult als elementar um eine Analogie zwischen vertikaler Feuerflamme
und Phallus, was hier mit dem vierten der Elemente die sinnvollste Lösung für
die Ode wäre.
Ebenfalls ein Abstieg ins Mythische der
griechischer Antike erfolgt evokativ mit dem folgenden Meererlebnis in „Agios
Nikitas“.
Ein neues Symbol mit erotischer Komponente,
ein Granatapfel, wird 1999 in dem nächsten Gedicht der Geliebten überreicht.
Von besonderem Gewicht ist sodann die
„Dithyrambe beim Wiedererscheinen der „chymischen Medizin“des Johannes Agricola“,
Olivier Humbert gewidmet, das in der Zeitschrift Hermes Nr. 17 im Jahr 2000
erschienen war. Daraus die letzte Strophe:
WERK VON GEWICHT
UND NOCH ERST ZU ERSCHÖPFENDER
PURGANZEN,
DRÄNGT
NUN DEN LABORANT, DEN ARZT ANS GROSSE WERK
DAS
TRINKBAR GOLD VERSPRICHT UND SICH IM LEIB ENTHÜLLT:
ES MÖG
ZU WEISEM TUN AUCH GOLD IM KOPF GEDEIHN
ZU NEUER ALTER KRAFT ENTFESSELN SEINEN
SCHEIN.[2]
…
Das „opus magnum“, das „grosse Werk“ der Alchemie, ist auch bei Kunrath medizinisch
interpretierbar zur Wiederherstellung von Körper und Geist. Im anschließenden
Text gerät die literarische sensible Pierrot-Figur auf diese Bahn:
DU
WIRST DIE GOLDENEN SPUREN SEHEN:
LES
OMBRES MIRACULEUSES.
SIE
WANDELN HIER UNABLÄSSIG
UND
RAUNEN MIT MUSCHEL UND WIND.
Sieht sich das lyrische Ich - von Gesichtern umringt -nun in diesem
Kontext gefangen,, verfolgt oder behütet?
HORCH
IN DIE NACHT!
STUNDEN
WIE GESPULT
KEINE
PRACHT,
ICH
WAR ERWACHT
IM
HAUSE DES ICH-BIN.
HAND
LIEGT SO SCHWER
AUF
ALTEN BÄNDEN.
REIHEN;
DIE MICH RINGS UMSTEHN.
EIN
GANZES MEER
EIN
STUMMES HEER
VON
WÄCHTERN, die ich ausersehn.
OHR
IST NUN DOLCH
MUND
IST WIE SAND.
WAS
NUN ERKLINGT
GESICHTE
ZWINGT
SIE
DRÄNGEN DURCH DIE WAND.
Das Schlussgedicht, das wir zu den von uns
betitelten letzten Stimmen verschieben, überrascht wirklich, so der Titel „In
einem anderen Ton“, signalisiert: hier knüpt Berthold Daut in den
komprimierenden Wortschöpfungen an seine Sprache der Siebziger an. Leider in
resignierten statt in revoltierenden Gesten.
[1] 1 Text
der Rosa Alchemica s. unter www.online-literature.com/yeats/2534/.
Die Gedichte vgl. W.B.Yeats:
The Collected Poems. London (Macmillan) 1965.
[2] 2 Vgl.
Johannes Agricola: Chymische Medizin. Ed. Olivier Humberg. Elberfeld 2000 mit
1408 Seiten. Zu Khunrath vgl. Daut 2000
und allg. Ralf Töllner: Der unendliche Kommentar. Untersuchungen zu vier
ausgewählten Kupferstichen aus Heinrich Khunraths „Amphitheatrum Sapientiae
Verae“ – Hanaus 1609. Ammersbek 1991.
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