Kapitel IV: Strofen und Sprüche zur
Lage 1970-1977
In diesen zwölf Gedichten (S. 64-74)
entsprechen eingangs die längeren den „ Strofen“. Die „Sprüche“
beginnen mit „Trinkspruch“ (Nr. 5, S. 68) und verknappen sich textlich,
ohne dass eine dominante Form erkennbar
wird. Geht man im Vorverständnis
von dem Begriff „Lage“ aus, meint dieser den Umstand, in dem man sich befindet,
generalisiert: die politische Lage.
Nehme ich Stellung zu dieser Lage in Form eines Spruches, benenne ich
sie, beschreibe sie und weise andere eventuell warnend auf deren Ernst hin.
Dann würde die urpoetische Funktion des
„vates“ anklingen, des voraus sehenden, mahnenden Dichters, nunmehr
eingeschränkt auf eine persönliche Situation. .
Die uns vertraute Problematik des Dichtens
angesichts mangelnder Inspiration ist hier die gegenwärtige Ausgangslage. Die
„Wortmaschine“ einer „Ichkunst“ (S. 64.65) springt wegen der äußeren leblosen
Winter-Natur nicht an und erzwingt innerlich höchstens ein „blödes flattern“.
Dass sich darüber dennoch zweimal vier gereimte Strophen erfinden lassen,
scheint das Paradox dieser Hohlheit zu sein, die immerhin wenn auch im
Nachhinein über sich selber reden kann. Diese
Krise weicht nach einem einfachen Stimulus:
Nur
heisser tee bewegt die wortmaschine
und
bringt den ichreiz, wenn sich reime winden,
ersehnten
durchgang, reisst die binden
vom
auge und befreit die bildermine.
Nun
muss ein wort der macht sie sprengen.
Aus
allen adern fängt es an zu bluten,
aus
engen kammern strömen gluten,
die
rings den raum mit licht versengen.
(S.65)
Die Lage verbessert sich in bildlich
phantastischer Steigerung. Dennoch produziert diese Wortmaschine nicht neue
Strofen, sondern nur tröstende intertextuelle Assoziationen. Bei Überhitzung
hilft Kühlen. Das anschließende Gedicht tut dies im Namen der analogen Exstasen
von Quirinus Kuhlmann (1651-1689), dem
mystisch-visionären Autor von „Kühlpsaltern“, die in Jesu Namen die
Höllengluten bekämpfen sollten. Der Dichter fühlt sich ihm verwandt. Verbirgt
sich hinter dieser gelehrten Anspielung auf Kuhlmann als „himmlischen Piloten“
eine Annäherung an durch Drogen stimulierte Bildlichkeit? Auch die nächsten
Strofen (S. 67) sprechen
düster-hermetisch von nächtlichen Erscheinungen, mit denen sich der Dichter
faustisch mittels eines Bilsentrunks, des gefährlich berauschenden
„Hexenkrauts“, verbündet. Auf diese haluzigenen Passagen folgt eine Art
Erwachen im „Trinkspruch“ (S. 68). Auf der Burg Eltz verhelfen dazu drei Gläser
„engelslicht“, die dennoch nicht von der ambivalenten nächtlichen Bindung befreien:
Gehetzt
in einsamkeit
Ins
licht bin ich gedrängt,
ins
schwersteleichte bleiben!
Mir
ist die nacht gelängt.
(S.68)
In
dem nächsten stakkato-artigen, noch
stammelnden „Spruch“ zur Lage von „herz
leere hülle“ wird eine Objektivierung des Psychodramas gewonnen in der
Gestalt einer Marionette, die sich zu drehen aufgefordert wird (S. 59). Der
Neubeginn ist wie eine Auferstehung:
Mühsam
Drücke
ich die steine weg
Beim
aufwachen.
(S.
70)
Es
bleibt oder entsteht wieder ein Gefühl der Entgrenzung, fast prosaisch mit
einer überwiegend leer gebliebenen Seite:
Immer
mehr
fasern
die rahmen ab
in
denen unsere imagination befestigt war.
Die
bilder werden locker
lösen
sich in farbige teile auf
und
besetzen den wohnraum.
(S.
71)
Die
Rückkehr aus dieser Grenzsituation stößt auf einen Schein von Leben
(„Entzündung“, S. 72), auf eine „belle amie“ und endet:
..
Das
sagt sich so leicht: lerne das fühlen!
Vielleicht
möchte ich mich fallen lassen
wie
ein stein.
Das
sagt sich so leicht: lerne das leben.
(S.
74)
Die
existentielle Krisenlage ist im vierten Kapitel gerade in dem Übergang von
visionären, grotesken „strofen“ hin zu den „sprüchen“ in inspiratorischer
Reduktion eher als Schaffens- und Orientierungskrise zu deuten, hinter der sich
natürlich eine soziale oder gesundheitliche Grenzerfahrung wie eine Depression verbergen kann, die bei dem Ich-Dichter immer durch fließende,
bildlich-rhythmische Sprachwerdung besiegt werden will.
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