Diese in Halbleder gebundene und mit
erlesenem Papier ausgestattete größte Sammlung ( 115 S.) der Gedichte Berthold
Dauts umfasst eine Auswahl aus den Jahren 1950 bis 1985, zeitlich in sechs
Kapitel mit Überschriften unterteilt, die im folgenden hier präsentiert werden
sollen zusammen mit einer abschließenden Auswahl der markantesten Gedichte
daraus. Im Großen und Ganzen ist diese Anthologie chronologisch angeordnet,
unterliegt jedoch einem Gesamtkonzept mit einem späteren, keltisch-maritimen
Einleitungsgedicht („Frage an Sindbad“), drei Prosagedichten und einer
thematisch-kontrastiven Aufreihung, wobei das dritte Kapitel ebenfalls den
Titel des Buches trägt, also seine Mitte ausmacht. Den Abschluss nach „Zehn
Gesänge“ (Kap. VI) bildet abgesetzt
„Irischer Zeitraum“ (S. 115) aus dem Jahre 1983, so dass Anfang und Ende eine
thematische Umfassung der Jahrzehnte - formal in konventioneller Orthographie -
und damit zugleich auch eine poetisch-geographische Gesamtbewegung
signalisieren.
Kapitel I: Jahreszeiten, Skizzen
(1950):
Morgens wolkenweisse stadt (S. 19)
Unter den Dichtern vom Ausgang des 19.
Jahrhunderts gibt es wohl niemanden, der an der typographischen Anordnung
seiner Gedichte sofort zu erkennen wäre außer Stefan George (1868-1933), später
gewiss Apollinaire mit seinen „Calligrammes“
(1913-16), die Sprache bildlich z.B. als Springbrunnen anordnen.
Kennzeichnend für Georges Verse sind - im Rückgriff auf die Brüder Grimm -
deren konsequente Kleinschreibung bis auf den Zeilenbeginn, eine Interpunktion
ohne Kommata, vereinfachte Konsonantenballungen („jezt“ statt „jetzt“) sowie
eine eigene, von seiner Handschrift abgeleitete Drucktype, deren zeitliche
Abwandlungen in der achtzehnbändigen Gesamtausgabe ab 1928 dokumentiert sind.
Dort in den Anhängen bezeugen Handschriftproben die Entwicklung dieser
Georgischen Minuskel. Alle anderen Einzelausgaben enthalten keine Handschriftenproben.
Wer sie verwendet – man kann sie heute im Internet erwerben – bekennt sich zu
einem ästhetischen Ideal der Text- und Buchgestaltung, das freilich auch immer
nach inhaltlichen Bezügen befragt werden könnte. .
Berthold Dauts Balkan-Gedicht „Morgens
wolkenweisse stadt“, das hier wohl recht früh mit 1950 datiert ist, erschien in
der bündischen Zeitschrift „Der Grosse Wagen“ der Jungentrucht in Heft 3, 1958
in der Georgischen Minuskel, die aus dem „Stern des Bundes“ (1914, vgl.
Gesamtausgabe VIII, nach S. 114) übernommen ist. Vordergründig lassen sich
dafür zwei Gründe finden: zum einen knüpft Berthold Daut an die
George-Tradition der Vorkriegshefte des „Grossen Wagen“ und seines Herausgebers
Karl Christian Müller an, zum anderen enthält dieses Heft poetische Text in
verschiedenen Schrifttypen, direkt davor einen in handgeschriebener Unziale.
Kurzum, Berthold Daut verwendet in Schriftwahl und Verstypologie eine
Tradition, der er sich in fast seinem ganzen lyrischen Werk formal verbunden
hält, von der Modifikation der Interpunktion und der Konsonanten abgesehen.
Poesie entzieht sich der Alltagssprache und -schrift, mag sie auch hier den
Alltag in einer Balkanstadt spiegeln. Es wird allgemein noch genauer zu
untersuchen sein, welche bewussten inhaltlichen Anlehnungen zu verzeichnen sind
und welche unabhängigen Akzente der junge bündische Dichter und belesene
Germanist Berthold Daut setzt lange vor der allgemeinen George-Wiederentdeckung
mit der zweibändigen Neuausgabe von 1958. Er selber äußert sich umfassender
dazu in einem Zeitungsartikel von 1964 „Erinnerungen an Stefan George“ auf den
wir gleich eingehen werden.
Festzuhalten bei der Gegenüberstellung des
Manuskripts mit dem Druck in „Stimmen und Schatten“ ist der individuelle
Charakter des ersteren trotz der George-Anwartschaft, wo allein das Wort Allah
eine Majuskel hat, und erst die Druckfassung den georgischen großen
Zeilenbeginn wieder auf nimmt. Das Fremdartige der Handschrift fügt sich
natürlicher in diese orientalische Balkan-Atmosphäre ein. Dauts Beschreibung
zieht als Tagesablauf an den Augen vorüber mit jeweils typischem Lokalkolorit.
Tages- und Jahreszeiten bleiben hinfort bevorzugte dichterische Sujets an
wechselnden Orten. „Stimmen und Schatten“ tauchen nicht nur textuell als Motive
auf, sondern sind lautlich wie bildlich ein Echo poetischer Orientierung, hier
zunächst an Stefan George. Auch der duale Titel erinnert an dessen Prosa-Band
„Tage und Taten“ mit jahreszeitlichen Texten, der mit einer Nummerierung durch
römische Ziffern eröffnet wird.
Die
körperliche Erfahrung der wechselnden Jahreszeiten sozusagen auf der Haut und
im Gemüt war bei Berthold Daut eingangs bereits in den beiden ersten
Prosaskizzen (I, II) thematisiert und in farbigen Spiegelfacetten einer Traum-Erinnerung
à la E.T.A. Hoffmann gebrochen. Meeresthematik und Regenwelten fließen sodann ineinander
in dem Lied „Regenfahrt“, das in vielen Fahrtengruppen gesungen wurde, weil es
die herbstliche Stimmung als Gemeinschaftserlebnis sehr suggestiv wieder gab.
Die wenigen Sommer- und Herbstimpressionen dieses Eingangsteils sind farbstark
und klangreich auch dank ihrer Reime und Alliterationen.
Morgens
wolkenweisse stadt
Rotes
segel sich enthüllt
polternd
rollt ein karrenrad.
Netz
vom meere reich gefüllt
Heisser
dunst und düfteschwall.
Eine
feige platzt vom saft
Prahlen fürchte rot und prall.
Prahlen fürchte rot und prall.
Der
basar im sonnenbrand.
Rings
gesichter braun und fremd.
Nach
dem bakschisch greift die hand
Eines kinds im fetzenhemd.
Eines kinds im fetzenhemd.
Allahs
diener zum gebet.
Schatten
wachsen wo er kniet.
(S.
19)
Regenfahrt
An
fernen horizonten
blüht
noch ein blaues licht.
Wir
sind ihm nachgezogen
mit
träumendem gesicht.
In
regengrauen fluten
starb
mohn und mut und welt.
Wir
kauern um die gluten
Wir
fahren mit den netzen
Hinaus
ins regenmeer.
Wir
fischen schwarze träume:
sternalt
gezeitenschwer.
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