Kapitel VI: Zehn Gesänge 1984/85
Dieses Schlusskapitel ist zugleich ein
Neuanfang, auf den der Leser in dem ersten Gedicht „Frage an Sindbad“
vorbereitet worden ar, denn dieses
bildet mit den letzten Gesängen den Rahmen um die präsentierte Gedichtauswahl
ab 1950.
Dieser Neubeginn ist äußerlich betrachtet
ein formal fundermentaler Bruch mit dem Vorangegangenen. Berthold Daut lässt
die freien Kurzformen hinter sich und beginnt Hexameter und Pentameter zu
schreiben, die im einzelnen „Gesang“ zweimal zehn Verse umfassen. Das erfordert
einen langen Atem und geht mit einem homogenen Rhythmus einher, den nur
Spondeen (Silben: lang, lang) und Zäsuren in dem daktylischen Maße (lang, kurz,
kurz) retardieren lassen. Ein neuer klassizistischer Zug, wie auch der Terminus
„Gesang“ auf die Tradition von Klopstock
(Messias) und den Homerübersetzer Voss verweist sowie das Metrum auf Goethes
Versdramen? Die Rechtschreibung verwendet plötzlich Majuskeln, was zunächst die
Langzeile leichter lesen lässt. Ein Abschied von der Poetik Stefan Georges und
von eigener fragmentarischer Zerrissenheit ? Diese Fragen lassen sich
angesichts dieser komplexen Dichtungen schwer, und wenn, dann nur für einzelne
Gesänge beantworten.
Wir
haben von den Inhalten bisher abgesehen und sollten das einen Moment lang auch
noch weiterhin tun angesichts eines so reflektierten dichterischen
Formbewusstseins wie das Berthold Dauts. Bis zu seinem Tode schreibt er
weiterhin über George, veröffentlicht Hommagen in der Zeitschrift der George-Gesellschaft
und im Castrum Peregrini, was er nicht getan hätte, wäre die Begegnung mit
dieser Leitfigur 1984/85 auch zu einer „Tafel“ geronnen und abgelegt worden.
Es gibt allerdings eine Parallele dieser
Grundproblematik von Rückblick, Abschied
und Neubeginn bei Stefan George selber, die Berthold Daut natürlich nicht
entgangen sein dürfte, auch wenn er nicht explizit daran anknüpft. Georges
letzter Gedichtband, „Das neue Reich“ (1928) hebt an mit einem Abschied in
Pentametern: „Goethes letzte Nacht in Italien“. Georges „Abschiedsschmerz ist
ein anderer als derjenige Goethes: Es ist nicht der Schmerz dessen, der die
Erfüllung, die ihm beschieden war, nun hinter sich lässt, sondern es ist der
Schmerz desjenigen, der dazu verurteilt ist, das Reich der Erfüllung, das er
ein Leben lang verkündet hat und das ihm nun vor Augen liegt, selbst niemals
betreten zu dürfen. Es ist der Schmerz
des Sehers, der immer nur Seher bleiben wird; es ist der Schmerz des
Außenseiters, der immer nur das Glück der anderen sieht.“[1]
Berthold Daut hat die Rollen eines
dichterischen „alter ego“ bis an Grenzerfahrungen durchlebt, übernimmt sie nun
jedoch nicht weiter in der alten Gestalt, sondern erschließt sich zunächst neue
Räume am westlichen Meer. In seiner zweiten Ehe, nach einer Konversion wird er
sich in Südirland neu finden gemäß dem letzten Vers aus Georges „Der Krieg“:
derjenige bleibt „Herr der zukunft wer sich wandeln kann.“ (GSA IX, S.34)
Wird sich von dieser Entdeckungs-Reise in
dem Maß des homerisch-vossschen epischen Hexameter angemessener, d.h. mit
voller Stimme und Identität berichten lassen als in den rhythmischen
Bildwirbeln von „Stimmen und Schatten“ zuvor? Eine Gefahr bleibt: das Wesen von
Berthold Dauts Dichtung macht die Naturerfahrung aus, weniger die der
personalen Begegnungen. Beherrscht er diese Metaphorik in einem neuen Kontext
und im heroischen Metrum oder wird sie ihn wieder beherrschen wollen?
Dichter sind gefährdet, vor allem, wenn sie
mit großen Traditionen vertraut sind und sich nicht von ihnen zu lösen vermögen.
Ehe wir uns mit knappen Analysen zur Orientierung an neue Küsten begeben,
sollte Bonaventuras „Achte Nachtwache“ ( 1804) uns warnen:
„Die Dichter sind ein unschädliches Völkchen
mit ihren Träumen und Entzückungen und dem Himmel voller griechischer Götter,
den sie in ihrer Phantasie mit sich umhertragen. Bösartig aber werden sie,
sobald sie sich erdreisten, ihr Ideal an die Wirklichkeit zu halten und nun in
diese, mit der sie gar nichts zu schaffen haben sollten, zornig hineinschlagen.
Sie würden indeß unschädlich bleiben, wenn man ihnen nur in der Wirklichkeit
ihr freies Plätzchen ungestört einräumen und sie nicht durch das Drängen und
Treiben in derselben eben zum Rückblick in sie zwingen wollte. Für den Maßstab
ihres Ideals muß alles zu klein ausfallen, denn dieser reicht über die Wolken
hinaus, und sie selber können sein Ende nicht absehen und müssen sich nur an
die Sterne als provisorischen Grenzpunkte halten, von denen indeß wer weiß wie
viele bis heute unsichtbar sind und ihr Licht sich noch auf der Reise zu uns
herab befindet.“[2] Übrigens: Als er den
Stadtpoeten in seiner Dachkammer erreicht, hatte dieser sich bereits
aufgehängt.
Berthold Daut ist weder im klassischen noch im romantischen Sinne
Idealist, der die Wirklichkeit gering schätzt oder sie in vergangenen Zeiten
sucht. Dennoch erfährt sein lyrisches Ich die Widersprüche eines Dualismus, die
im ersten Eröffnungs-Gesang thematisiert werden. Es gibt zunächst den Gegensatz
von Nacht und Tag:
Als
ich mich hielt an die Nacht, war mein Tag gewachsen
Mit
vielen Armen und Köpfen als riesiges formloses Untier (S.104, 1-2)
Mit der Orientierung an der Nacht, von der
nicht gesagt wird, worin sie besteht, verwandelt sich der Tag in ein amorphes
Monstrum, das die Gestalt wechselt und erneuert in „gieriger Vielfalt“ und
giftige „Wesen aus Leim“ gebiert. Ein nachtgestaltiger Alb drängt in den Tag
und unterwirft ihn sich. In der zweiten Strophe verkehrt sich - in
einem rhetorischen Chiasmus - die Ausgangssituation:
Als
ich mich hielt an den Tag, war meine Nacht gediehen. (Vers 11)
Diese
nahm eine übernatürliche Dimension an, erhob und
„Verschwisterte
mich den Wipfeln riesiger Sternenbäume“ (15), so dass wohl ein Blick von oben
auf Leute in einem Steinkreiszeremoniel möglich wurde. Die Erde hatte für diese
ihr Erz aufgetan. Dieses Land der Nacht ist von fünf glühenden Strömen
umschlossen und dringt nicht in den Tag vor.
Diese beiden zeitlichen Orientierungsmöglichkeiten
sprechen durch die Bildlichkeit und die Reihenfolge aus, welche der
Orientierungen vorzuziehen ist: es ist die des Tages. Psychologisch unbedeutsam
bleibt, dass dann kein Alltag möglich oder von Interesse ist, sondern eher eine
mystische, erhebende, nächtliche Vision („Elevatio“), die nie Traum genannt
wird. Das Ich ist nicht Opfer wie in der ersten Strophe, sondern entzückter
Beobachter.
Was leisten die Versmaße dabei? Der Gesang
hebt an mit einem Pentameter, dann alternieren Hexameter und Pentameter, ohne
dass sich wie in der Elegie ein Distichon, d.h. ein geschlossener Zweizeiler
bildet mit markiertem Einschnitt in der Versmitte. Dieser taucht im obigen Vers
11 auf, wo eine doppelte Betonung bei „Tag/war“ aufeinander stößt und den
Kontrast verstärkt.
Gesang II (S. 105)
Im
zweiten Gesang gibt jeweils das erste Wort der Strophen das angeschlagene Thema
vor: „Stern“ (1) und „Dichter“ (2). Ort und Rolle werden befragt. Stern ist
mehr als Erde und Natur, sondern umfassend kosmisch verinnerlicht. Führt das
wieder in eine mystische Situation? Eher nicht: es tritt Stille ein und macht
den Weg für Neues frei:
Es
wuchs im Umriss ein anderes Land, eine späte Verheissung
Lag
im Entwurf meiner Wege, wirklich-unwirkliche Verkörperung,
Stern,
deine verworrenen Geschicke blieben mir fremd,
Aber
mitten in ihnen verlangt mein Land seine Gründung.
Ein faustisches Unterfangen für den Dichter,
der eine omnipotente Instanz zu sein scheint:
Dichter,
sprenge die Schalen aus taubem Stoff, lohe,
Verlasse
die leeren Brunnen, geh ins wüste Land deines Ursprungs,
Das
dir eigen ist unter der Haut aller Dinge, das in dir ist,
Bestimme
seine unverletzlichen Grenzen, den Grad deiner Freiheit,
Verwandle
alle Substanzen und Wesen, rein und bleibend.
Das
Gesicht der Nacht zeichnet dich geheimnisvoll, Tage
Bewährend
deine unfertige Leichtigkeit, dein lächerliches Wagnis
Schaukelt
auf löchrigem Nachen über dem Abgrund.
Spielt
mit Sommern und Wintern und findet durchs Labyrinth,
Durch
unausbleibliche Spiegelung und farbige Reigen.
Eher ein Manifest mit vielen unpoetischen
Wörtern: die Aufgaben angedeutet, abgelegte Bildern wiederholend aus Mythen und
Jahreszeiten. Wie geht es an und weiter, denn es muss vor allem der Prozess
gesehen werden?
Gesänge III-IV
Der Dichter - als Neuschöpfer des wüsten Landes seines
Ursprungs - gebietet zunächst im dritten
Gesang den Winden. Dieser Gestus belebt ein ganzes Bündel mythologischer
Parallelen von der Schaffung der Elemente bis hin zur Gestalt des Windgottes
Äolus, dessen Winde das Meer in der Odyssee und Äneis verheerten, die hier
nunmehr das Land schütteln und Oben und Unten umkehren sollen. Schon in den
„Vents“ des einst viel gelesenen Nobelpreisträgers von 1960, Saint-John Perse,
waren sie als universelle Kraft verstanden worden, die nur der Dichter aus der
Erleuchtung seines Herzen dechiffrieren könne.[3]
Gehorcht die Erde den Winden und werfen sich verborgene Schichten auf, ist eine
Abmilderung geboten:
Säuselnde
seid ihr dann, sanfte Singer, Lufthauch in den Flöten.
Ihr
freundlich Rauschenden, Frische in glühenden Sommern,
Sprecht,
Winde, unsere Lippen wollen sanft geküsst sein von euch!
(S.
106)
Trochäisch
- um vielleicht die
archisch-paradiesische Zeit durch ein anderes altes Metrum auszudrücken als den
Hexmameter des Zyklus - entsteht das idyllische Bild eines „frühen Gartens“ (IV,
S. 107):
Wind
und Erde, deine Zeichen gingen auf.
Gesang V
Wie verändert werden jetzt die Jahreszeiten
gesehen? Die Bilder sind unfriedlich, „ein blutiges Haupt“ schwimmt vorbei:
Unruhiges
strömt mit der Luft und spricht mit Stimmen und Zungen.
(S.
108)
Die alten Bilder sind wieder da, sind eher
innen als außen:
Bei
geschlossenen Lidern geschieht die Verwandlung der Dinge.
Und
nyktomorphe Gestalten regen sich, mit „IHR“ wie in Gesang I angesprochen, deren
Stunde angebrochen ist, worauf das Ich in einer rätselhaften Weise reagiert:
Mir
selbst verborgen, bleibe ich im Glanz meiner unvergleichlichen List,
Singe
ich meinen Anteil des fälligen Lobs, dem Stern verschwistert,
Ich
habe das gerechte Feuer der Tränen durchschritten. (Ebda.)
Das Ich hält sich offenbar für gefeit vor
einer neuen Heimsuchung, da es das Feuer der Tränen einmal durchschritten hat
und es in seiner kreativen Rolle als Dichter, „dem Stern verschwistert“, selber über einen Teil der projizierten oder
geschaffenen Bildwelt bestimmen kann. Das war die List, die die Albträume
bannte.
Gesang VI (S. 109)
Dies Intermezzo spielt in der ersten Strophe
in einem Labor eines Alchemisten oder in einer Art Hexenküche, wo eine Greisin
namens Rapunzel ihn auf den nächsten Tag vertröstet, er werde das Feuer wieder
entfachen. Darauf folgt eine grandiose zweite Strophe mit der Vision einer
Apokalypse :
Beschwörung
der Stürme, drohende Wirbel über Golf und Archipel,
Unerhörte
Endstimmen kommen, Schwarmgeister des zeitlichen Abgrunds
Über
dem Auftrieb der gerotteten Myriaden, grellen Wahn werfend,
Eitle
Verblendung, stirnäugig, Molluskeln schlingen
Den
Abfall im Strudel der westlichen Völker, blindlings,
Vertauschung
der Pole, Wiederkehr uralter Gletscher,
Feuer
und Eis, Bannfluch beleidigter Erde, zerbrochenes Siegel,
Das
Gesicht von Patmos, Zehrstunde, sollt die Gebetsfahnen auf,
Zieht
los in den Wüstenwind, geht ein in die Lohe der Erzväter,
Grabt
den Gottesacker auf und vergesst euere Namen!
Auffällig ist, das Berthold Daut symbolische
Register stärker zu integrieren beginnt, oben in Gesang I bereits keltische
Steinkreise und Geomantie, Mystik, Endzeitvisionen und hier Alchemie, über die
er später am Beispiel von Conrad Khunrath systematisch arbeiten wird. Dass
diese Bildlichkeiten stärker als Mythen das imaginäre Universum bevölkern, ist
in der Poesie seit den Surrealisten Robert Desnos und André Breton Ansatz für
Grenzerweiterung der vordergründigen Wirklichkeit über die Traumschwelle
hinaus.[4]
In welche Richtung wird das lyrische Ich der Gesänge gehen oder getrieben?
Gesänge VII-VIII
Den Ablauf der Jahreszeiten dichterisch
mitzuerleben, war in allen Jahrzehnten von „Stimmen und Schatten“ poetischer
Grundstoff, den wir nunmehr auf Veränderungen, d.h. auf den Charakter der
Bildwelt betrachten müssen.
Der
siebente Gesang hebt an mit „mein Schlaf ist verkehrt“ (S.110). Wieder sind die
Abgrenzungen durchlässig und die semantischen Bereiche Körper und Natur
überlagern sich:
..gefährliche Zähne
Legen
sich an die Wurzeln nächtlicher Einsicht, dringen durchs Erdreich,
In
dem, süss gebettet, mein Samenkorn liegt. Frost wird Rettung,
Er
lähmt die Landschaft der Muskeln, das rohe gewaltige Fleisch.
In der zweiten Strophe wiederholen sich die
Heimsuchungen des ersten Gesanges, die Gestalten sind nicht mehr amorph
bedrohlich, sondern lemurenhaft machtlos eher mit sich selbst beschäftigt:
Schlafende
Gäste treten herein mit verbundenen
Augen,….
Verwachsenes
wuchert sich ein in den Schlaf der Verwünschten.
Verwachsenes
wuchert sich ein in den Schlaf der Verwünschten. (110)
Der achte Gesang ist die Fortsetzung des
vorigen Geschehens, das auf dem Weg in den eisigen Norden den Lemurenzug tiefer
gefrieren lässt („verewigt Erfrorne“, S. 111). Aber es sind noch andere,
Lebendige, dabei, die einem Gott mit einem Auge auf der Stirn zum Nordlicht
folgen:
Die
Geisel schwingt er über seinem Heer und reisst
Mit
spitzen Haken die erfrornen Herzen auf,
Er
presst aus ihren matten Kammern, den Tod enteignend, das geweihte Blut.
Was ist der Sinn dieses nordischen
Extrem-Spektakels? Sollte nicht in Ultima Thule mythologisch etwas zu Ende
geführt werden, das damit seine Bedrohung verliert? Dem widerspricht die
Blutextraktion, die vielleicht mit Gesang X eine christliche Deutung zulässt.
Es findet keinerlei Bestrafung statt wie etwa im neunten Eisring der Hölle bei
Dante, wo die größten Sünden abgebüßt werden.
Gesang IX (S 112)
Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, den
Schrecken des Winters zu entgehen: Rosen auf den frischen Schnee zu streuen.
Die Wirkung wird bildlich vom Ich durchgespielt und in der zweiten Strophe
tritt demzufolge eine erlösende Aufwärtsbewegung ein. Die kalte Hölle ist
hinter sich gelassen und mit dem
Rosenymbol öffnet sich dem Ich der Himmel. Die Rose (für Christi
Auferstehung und Passion, aber auch der Alchemie) könnte dabei leiten wie der
Mistelzweig in der Unterwelt bei Vergil oder Dante. Explizit ist nichts
bezogen, auch Christus bleibt ungenannt. Noch aber individualisiert sich dies
alles nicht:
..
Rosengärten
ohne Ende laden ein voll Lust zu gleiten,
Schwärmerisch
zu tauchen in die Meere Edens.
Firnlicht
fliesst aus ruhigen Spiegel, zarte Bilder
Malen
sich an Wolkenwänden und vergehen, wechselnd
Mit
den Farben der Gesichter von verklärten Seelen,
Immer
höher, weiter, dringt mein sehnsuchtsloses Auge,
Und
du reichst mir, Ewiger, lächelnd deinen lautren Wein.
Das Ziel der Initiation durch die Jahreszeiten
der Gesänge mit individuellen
Schreckensbildern von Purgatorium und Hölle, dieses Ziel ist erreicht und heißt
die christliche Verklärung nach einer aus der eigenen Dichtung abgeleiteten
Passion.
Gesang I0 (S. 113)
Mit der Eingangsfrage
„Wieviel
bleibt uns noch, dir, Erde, zu sagen: Wir sind?“ kehrt das erwählte Ich sich
verantwortungsbewusst dem immanenten Sein zu:
Du
hast uns zu Gesandten erwählt ins verwilderte Land,
Wir
tragen die Botschaft des Steins an die Stufen des Himmels,
Bis
das All verwandelt gehorcht unserer irdischen Hand.
Uns,
den Dunklen, hast Du Glanz verliehn,
Wir
zerbrachen die Druse, gehorchten ihrem Kristall.
Stunde
des Aufbruchs, Stunde heilender Blendung,
Spuren
des Lichts bleiben beharrlichen Händen,
Das
Meer wartet auf neuen Glanz und bewegliche Schiffe,
Lichtet
die Anker zu verwandelten Ufern, der Kreis des Glücks
Wird
wieder befahren, die Erde gehorcht ihrer himmlischen Geometrie.
Viel
bleibt uns dann, dir, Erde, zu sagen : Wir sind,
Wir
sind dein Feuer, dein Wasser, deine Verwandlung, dein Wind.
Die
Stimmen neuen Tags auf den Orgeln des Basalt,
Stufen,
scheinbar endlose Stufen im geschaffenen Rund –
Schale
um Schale enthüllt sich lebendiger Grund.
Epischer Atem weht in den gemessenen
Schritten der Spondeen des vorletzten Verses, ehe der einzige Reim in den zehn
Gesängen deren letzten Pentameter harmonisch beschließt.
Epilog
Nach einer leeren Seite folgt der eigentliche
Abschluss des Bandes, in Form und Metrum den zehn Gesängen entsprechend, jedoch
mit einem Titel versehen:
„Irischer
Zeitraum“ (S. 115). Schon in den Gesängen waren markante irische
Landschaftsmerkmale angedeutet wie „Steinkreise“ ((I) oder „Orgeln aus Basalt“
(X). Die persönliche Erfahrung früherer Fahrten ans westliche Meer in die
Bretagne hatte sich Anfang der 80gerJahre in Südirland in Schull fortgesetzt
und durch die eigene Ansiedlung intensiviert. Die Meereslandschaft musste nicht
imaginiert werden, sie lebte vor Augen und man konnte sie begehen, von ihr
aufgenommen werden. Das dichterische Ich Berthold Dauts hat jetzt eine
souveräne Optik, die Raum und Zeit bei der landschaftlichen Begehung bis ins
Megalithikum durchdringt und deren Zauber für einen Augenblick enthüllt, indem
es im dichterischen Suchen nach vergleichenden Metaphern Schätze aus Märchen
und Sagen hebt. Dies ist positiv abgegrenzt und nicht mehr umgekehrt wie in
einzelnen Phasen seiner dichterischen Entwicklung, als die Mythen ihn dabei
terrorisierten. Begleiten wir ihn abschließend dabei:
Mitunter
gerate ich auf die andere Seite des Flusses
Mitten
in die Versammlung der Felsenhäupter, Kronen
Schief
auf dem moosigen Haar, Mäntel feuchten Winds
Um
dornige Zepter. Tropfengirlanden schleifend durch Gras.
Ein
reicher Besitz an Schweigen seit zehntausend Jahren!
Vielleicht
warten sie längst auf den unterbliebenen Zuspruch,
Daß
der getrübte Spiegel der Mythen sich kläre,
Wieder
erstände das frühe Bild, imaginiert,
Farbig,
in Steine geritzt, scheinbar flüchtige Träume:
Glänzende
Arme , Füße im Tanz, sprühende Lippen.
Plötzlich
ist da ein Mahl, die Felsenkönige schütteln
Die
Bärte, von Fackelbränden gestört stehen sie auf,
Es
poltert über den Wolken, ein goldener Kessel erscheint,
Wir
schlucken feurigen Trank aus dampfenden Kellen.
Ein
reicher Schatz an Gespräch wie vor zehntausend Jahren!
Sagas
dröhnender Streiter und starker verwegener Weiber,
Deren
berühmtes Haar die Schätze der Könige aufwog,
Vorn
an der Klippe glimmt es wie Gold, wie seltnes Geschmeide!
Kam
einer davon , hielt er nur Schaum von der Brandung im Arme!
Manchmal
bleibt nur Schaum für den Sänger, wenn er den Zauber verriet.
[1] Ernst
Osterkamp: Poesie der leeren Mitte. Stefan Georges Neues Reich. München
(Hanser) 2010, S. 60.
[2]
Friedrich Gottlob Wetzel: Nachtwachen. Von Bonaventura (1804/05). In: Karl
Balser (HG.): Dichtung der Romantik VI, Hamburg 1960, S. 307.
[3] Vgl. Saint-John-Perse: Winde. Französisch
und Deutsch, Übertragung und Nachwort von Friedhelm Kemp. Suhrkamp 1964, S. 120
f.
[4] Vgl.
H.G.Lenz (Hg): Der Alchemist Conrad Khunrath. Elberfeld (Humberg 2006.) sowie
zur Alchemie z.B. M.-C. Dumas (HG.):
Desnos. Oeuvres. Gallimard 1999, S. 453-457: Le mystère d’Abraham Juif“ (von
1929). S.unten zu Yeats.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen