Sonntag, 13. März 2016


Kapitel VI: Zehn Gesänge 1984/85
   Dieses Schlusskapitel ist zugleich ein Neuanfang, auf den der Leser in dem ersten Gedicht „Frage an Sindbad“ vorbereitet worden  ar, denn dieses bildet mit den letzten Gesängen den Rahmen um die präsentierte Gedichtauswahl ab 1950.
   Dieser Neubeginn ist äußerlich betrachtet ein formal fundermentaler Bruch mit dem Vorangegangenen. Berthold Daut lässt die freien Kurzformen hinter sich und beginnt Hexameter und Pentameter zu schreiben, die im einzelnen „Gesang“ zweimal zehn Verse umfassen. Das erfordert einen langen Atem und geht mit einem homogenen Rhythmus einher, den nur Spondeen (Silben: lang, lang) und Zäsuren in dem daktylischen Maße (lang, kurz, kurz) retardieren lassen. Ein neuer klassizistischer Zug, wie auch der Terminus „Gesang“ auf  die Tradition von Klopstock (Messias) und den Homerübersetzer Voss verweist sowie das Metrum auf Goethes Versdramen? Die Rechtschreibung verwendet plötzlich Majuskeln, was zunächst die Langzeile leichter lesen lässt. Ein Abschied von der Poetik Stefan Georges und von eigener fragmentarischer Zerrissenheit ? Diese Fragen lassen sich angesichts dieser komplexen Dichtungen schwer, und wenn, dann nur für einzelne Gesänge beantworten.
   Wir haben von den Inhalten bisher abgesehen und sollten das einen Moment lang auch noch weiterhin tun angesichts eines so reflektierten dichterischen Formbewusstseins wie das Berthold Dauts. Bis zu seinem Tode schreibt er weiterhin über George, veröffentlicht Hommagen in der Zeitschrift der George-Gesellschaft und im Castrum Peregrini, was er nicht getan hätte, wäre die Begegnung mit dieser Leitfigur 1984/85 auch zu einer „Tafel“ geronnen und abgelegt worden.
  Es gibt allerdings eine Parallele dieser Grundproblematik von Rückblick,  Abschied und Neubeginn bei Stefan George selber, die Berthold Daut natürlich nicht entgangen sein dürfte, auch wenn er nicht explizit daran anknüpft. Georges letzter Gedichtband, „Das neue Reich“ (1928) hebt an mit einem Abschied in Pentametern: „Goethes letzte Nacht in Italien“. Georges „Abschiedsschmerz ist ein anderer als derjenige Goethes: Es ist nicht der Schmerz dessen, der die Erfüllung, die ihm beschieden war, nun hinter sich lässt, sondern es ist der Schmerz desjenigen, der dazu verurteilt ist, das Reich der Erfüllung, das er ein Leben lang verkündet hat und das ihm nun vor Augen liegt, selbst niemals betreten zu dürfen. Es ist der  Schmerz des Sehers, der immer nur Seher bleiben wird; es ist der Schmerz des Außenseiters, der immer nur das Glück der anderen sieht.“[1]
   Berthold Daut hat die Rollen eines dichterischen „alter ego“ bis an Grenzerfahrungen durchlebt, übernimmt sie nun jedoch nicht weiter in der alten Gestalt, sondern erschließt sich zunächst neue Räume am westlichen Meer. In seiner zweiten Ehe, nach einer Konversion wird er sich in Südirland neu finden gemäß dem letzten Vers aus Georges „Der Krieg“: derjenige bleibt „Herr der zukunft wer sich wandeln kann.“ (GSA IX, S.34)
   Wird sich von dieser Entdeckungs-Reise in dem Maß des homerisch-vossschen epischen Hexameter angemessener, d.h. mit voller Stimme und Identität berichten lassen als in den rhythmischen Bildwirbeln von „Stimmen und Schatten“ zuvor? Eine Gefahr bleibt: das Wesen von Berthold Dauts Dichtung macht die Naturerfahrung aus, weniger die der personalen Begegnungen. Beherrscht er diese Metaphorik in einem neuen Kontext und im heroischen Metrum oder wird sie ihn wieder beherrschen wollen?
   Dichter sind gefährdet, vor allem, wenn sie mit großen Traditionen vertraut sind und sich nicht von ihnen zu lösen vermögen. Ehe wir uns mit knappen Analysen zur Orientierung an neue Küsten begeben, sollte Bonaventuras „Achte Nachtwache“ ( 1804) uns warnen: 
   „Die Dichter sind ein unschädliches Völkchen mit ihren Träumen und Entzückungen und dem Himmel voller griechischer Götter, den sie in ihrer Phantasie mit sich umhertragen. Bösartig aber werden sie, sobald sie sich erdreisten, ihr Ideal an die Wirklichkeit zu halten und nun in diese, mit der sie gar nichts zu schaffen haben sollten, zornig hineinschlagen. Sie würden indeß unschädlich bleiben, wenn man ihnen nur in der Wirklichkeit ihr freies Plätzchen ungestört einräumen und sie nicht durch das Drängen und Treiben in derselben eben zum Rückblick in sie zwingen wollte. Für den Maßstab ihres Ideals muß alles zu klein ausfallen, denn dieser reicht über die Wolken hinaus, und sie selber können sein Ende nicht absehen und müssen sich nur an die Sterne als provisorischen Grenzpunkte halten, von denen indeß wer weiß wie viele bis heute unsichtbar sind und ihr Licht sich noch auf der Reise zu uns herab befindet.“[2] Übrigens: Als er den Stadtpoeten in seiner Dachkammer erreicht, hatte dieser sich bereits aufgehängt.
   Berthold Daut ist weder im klassischen noch im romantischen Sinne Idealist, der die Wirklichkeit gering schätzt oder sie in vergangenen Zeiten sucht. Dennoch erfährt sein lyrisches Ich die Widersprüche eines Dualismus, die im ersten Eröffnungs-Gesang thematisiert werden. Es gibt zunächst den Gegensatz von Nacht und Tag:
Als ich mich hielt an die Nacht, war mein Tag gewachsen
Mit vielen Armen und Köpfen als riesiges formloses Untier (S.104, 1-2)

   Mit der Orientierung an der Nacht, von der nicht gesagt wird, worin sie besteht, verwandelt sich der Tag in ein amorphes Monstrum, das die Gestalt wechselt und erneuert in „gieriger Vielfalt“ und giftige „Wesen aus Leim“ gebiert. Ein nachtgestaltiger Alb drängt in den Tag und unterwirft ihn sich. In der zweiten Strophe verkehrt sich  -  in einem rhetorischen Chiasmus  -  die Ausgangssituation:
Als ich mich hielt an den Tag, war meine Nacht gediehen. (Vers 11)

Diese nahm eine übernatürliche Dimension an, erhob und
„Verschwisterte mich den Wipfeln riesiger Sternenbäume“ (15), so dass wohl ein Blick von oben auf Leute in einem Steinkreiszeremoniel möglich wurde. Die Erde hatte für diese ihr Erz aufgetan. Dieses Land der Nacht ist von fünf glühenden Strömen umschlossen und dringt nicht in den Tag vor.
   Diese beiden zeitlichen Orientierungsmöglichkeiten sprechen durch die Bildlichkeit und die Reihenfolge aus, welche der Orientierungen vorzuziehen ist: es ist die des Tages. Psychologisch unbedeutsam bleibt, dass dann kein Alltag möglich oder von Interesse ist, sondern eher eine mystische, erhebende, nächtliche Vision („Elevatio“), die nie Traum genannt wird. Das Ich ist nicht Opfer wie in der ersten Strophe, sondern entzückter Beobachter.
   Was leisten die Versmaße dabei? Der Gesang hebt an mit einem Pentameter, dann alternieren Hexameter und Pentameter, ohne dass sich wie in der Elegie ein Distichon, d.h. ein geschlossener Zweizeiler bildet mit markiertem Einschnitt in der Versmitte. Dieser taucht im obigen Vers 11 auf, wo eine doppelte Betonung bei „Tag/war“ aufeinander stößt und den Kontrast verstärkt.
Gesang II (S. 105)
Im zweiten Gesang gibt jeweils das erste Wort der Strophen das angeschlagene Thema vor: „Stern“ (1) und „Dichter“ (2). Ort und Rolle werden befragt. Stern ist mehr als Erde und Natur, sondern umfassend kosmisch verinnerlicht. Führt das wieder in eine mystische Situation? Eher nicht: es tritt Stille ein und macht den Weg für Neues frei:
Es wuchs im Umriss ein anderes Land, eine späte Verheissung
Lag im Entwurf meiner Wege, wirklich-unwirkliche Verkörperung,
Stern, deine verworrenen Geschicke blieben mir fremd,
Aber mitten in ihnen verlangt mein Land seine Gründung.

   Ein faustisches Unterfangen für den Dichter, der eine omnipotente Instanz zu sein scheint:
Dichter, sprenge die Schalen aus taubem Stoff, lohe,
Verlasse die leeren Brunnen, geh ins wüste Land deines Ursprungs,
Das dir eigen ist unter der Haut aller Dinge, das in dir ist,
Bestimme seine unverletzlichen Grenzen, den Grad deiner Freiheit,
Verwandle alle Substanzen und Wesen, rein und bleibend.
Das Gesicht der Nacht zeichnet dich geheimnisvoll, Tage
Bewährend deine unfertige Leichtigkeit, dein lächerliches Wagnis
Schaukelt auf löchrigem Nachen über dem Abgrund.
Spielt mit Sommern und Wintern und findet durchs Labyrinth,
Durch unausbleibliche Spiegelung und farbige Reigen.

   Eher ein Manifest mit vielen unpoetischen Wörtern: die Aufgaben angedeutet, abgelegte Bildern wiederholend aus Mythen und Jahreszeiten. Wie geht es an und weiter, denn es muss vor allem der Prozess gesehen werden?
 Gesänge III-IV
   Der Dichter -  als Neuschöpfer des wüsten Landes seines Ursprungs -  gebietet zunächst im dritten Gesang den Winden. Dieser Gestus belebt ein ganzes Bündel mythologischer Parallelen von der Schaffung der Elemente bis hin zur Gestalt des Windgottes Äolus, dessen Winde das Meer in der Odyssee und Äneis verheerten, die hier nunmehr das Land schütteln und Oben und Unten umkehren sollen. Schon in den „Vents“ des einst viel gelesenen Nobelpreisträgers von 1960, Saint-John Perse, waren sie als universelle Kraft verstanden worden, die nur der Dichter aus der Erleuchtung seines Herzen dechiffrieren könne.[3] Gehorcht die Erde den Winden und werfen sich verborgene Schichten auf, ist eine Abmilderung geboten:
Säuselnde seid ihr dann, sanfte Singer, Lufthauch in den Flöten.
Ihr freundlich Rauschenden, Frische in glühenden Sommern,
Sprecht, Winde, unsere Lippen wollen sanft geküsst sein von euch!
(S. 106)
   Trochäisch  -  um vielleicht die archisch-paradiesische Zeit durch ein anderes altes Metrum auszudrücken als den Hexmameter des Zyklus - entsteht das idyllische Bild eines „frühen Gartens“ (IV, S. 107):
Wind und Erde, deine Zeichen gingen auf.

Gesang V
   Wie verändert werden jetzt die Jahreszeiten gesehen? Die Bilder sind unfriedlich, „ein blutiges Haupt“ schwimmt vorbei:
Unruhiges strömt mit der Luft und spricht mit Stimmen und Zungen.
(S. 108)
   Die alten Bilder sind wieder da, sind eher innen als außen:
Bei geschlossenen Lidern geschieht die Verwandlung der Dinge.

Und nyktomorphe Gestalten regen sich, mit „IHR“ wie in Gesang I angesprochen, deren Stunde angebrochen ist, worauf das Ich in einer rätselhaften Weise reagiert:
Mir selbst verborgen, bleibe ich im Glanz meiner unvergleichlichen List,
Singe ich meinen Anteil des fälligen Lobs, dem Stern verschwistert,
Ich habe das gerechte Feuer der Tränen durchschritten. (Ebda.)

   Das Ich hält sich offenbar für gefeit vor einer neuen Heimsuchung, da es das Feuer der Tränen einmal durchschritten hat und es in seiner kreativen Rolle als Dichter, „dem Stern verschwistert“,  selber über einen Teil der projizierten oder geschaffenen Bildwelt bestimmen kann. Das war die List, die die Albträume bannte.

Gesang VI (S. 109)
   Dies Intermezzo spielt in der ersten Strophe in einem Labor eines Alchemisten oder in einer Art Hexenküche, wo eine Greisin namens Rapunzel ihn auf den nächsten Tag vertröstet, er werde das Feuer wieder entfachen. Darauf folgt eine grandiose zweite Strophe mit der Vision einer Apokalypse :

Beschwörung der Stürme, drohende Wirbel über Golf und Archipel,
Unerhörte Endstimmen kommen, Schwarmgeister des zeitlichen Abgrunds
Über dem Auftrieb der gerotteten Myriaden, grellen Wahn werfend,
Eitle Verblendung, stirnäugig, Molluskeln schlingen
Den Abfall im Strudel der westlichen Völker, blindlings,
Vertauschung der Pole, Wiederkehr uralter Gletscher,
Feuer und Eis, Bannfluch beleidigter Erde, zerbrochenes Siegel,
Das Gesicht von Patmos, Zehrstunde, sollt die Gebetsfahnen auf,
Zieht los in den Wüstenwind, geht ein in die Lohe der Erzväter,
Grabt den Gottesacker auf und vergesst euere Namen!
   Auffällig ist, das Berthold Daut symbolische Register stärker zu integrieren beginnt, oben in Gesang I bereits keltische Steinkreise und Geomantie, Mystik, Endzeitvisionen und hier Alchemie, über die er später am Beispiel von Conrad Khunrath systematisch arbeiten wird. Dass diese Bildlichkeiten stärker als Mythen das imaginäre Universum bevölkern, ist in der Poesie seit den Surrealisten Robert Desnos und André Breton Ansatz für Grenzerweiterung der vordergründigen Wirklichkeit über die Traumschwelle hinaus.[4] In welche Richtung wird das lyrische Ich der Gesänge gehen oder getrieben?

Gesänge VII-VIII
   Den Ablauf der Jahreszeiten dichterisch mitzuerleben, war in allen Jahrzehnten von „Stimmen und Schatten“ poetischer Grundstoff, den wir nunmehr auf Veränderungen, d.h. auf den Charakter der Bildwelt betrachten müssen.
Der siebente Gesang hebt an mit „mein Schlaf ist verkehrt“ (S.110). Wieder sind die Abgrenzungen durchlässig und die semantischen Bereiche Körper und Natur überlagern sich:
                                             ..gefährliche Zähne
Legen sich an die Wurzeln nächtlicher Einsicht, dringen durchs Erdreich,
In dem, süss gebettet, mein Samenkorn liegt. Frost wird Rettung,
Er lähmt die Landschaft der Muskeln, das rohe gewaltige Fleisch.

   In der zweiten Strophe wiederholen sich die Heimsuchungen des ersten Gesanges, die Gestalten sind nicht mehr amorph bedrohlich, sondern lemurenhaft machtlos eher mit sich selbst beschäftigt:
Schlafende Gäste  treten herein mit verbundenen Augen,….
Verwachsenes wuchert sich ein in den Schlaf der Verwünschten.

Verwachsenes wuchert sich ein in den Schlaf der Verwünschten. (110)
 Der achte Gesang ist die Fortsetzung des vorigen Geschehens, das auf dem Weg in den eisigen Norden den Lemurenzug tiefer gefrieren lässt („verewigt Erfrorne“, S. 111). Aber es sind noch andere, Lebendige, dabei, die einem Gott mit einem Auge auf der Stirn zum Nordlicht folgen:
Die Geisel schwingt er über seinem Heer und reisst
Mit spitzen Haken die erfrornen Herzen auf,
Er presst aus ihren matten Kammern, den Tod enteignend, das geweihte Blut.
   Was ist der Sinn dieses nordischen Extrem-Spektakels? Sollte nicht in Ultima Thule mythologisch etwas zu Ende geführt werden, das damit seine Bedrohung verliert? Dem widerspricht die Blutextraktion, die vielleicht mit Gesang X eine christliche Deutung zulässt. Es findet keinerlei Bestrafung statt wie etwa im neunten Eisring der Hölle bei Dante, wo die größten Sünden abgebüßt werden. 

Gesang IX (S 112)
   Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, den Schrecken des Winters zu entgehen: Rosen auf den frischen Schnee zu streuen. Die Wirkung wird bildlich vom Ich durchgespielt und in der zweiten Strophe tritt demzufolge eine erlösende Aufwärtsbewegung ein. Die kalte Hölle ist hinter sich gelassen und mit dem  Rosenymbol öffnet sich dem Ich der Himmel. Die Rose (für Christi Auferstehung und Passion, aber auch der Alchemie) könnte dabei leiten wie der Mistelzweig in der Unterwelt bei Vergil oder Dante. Explizit ist nichts bezogen, auch Christus bleibt ungenannt. Noch aber individualisiert sich dies alles nicht:
..
Rosengärten ohne Ende laden ein voll Lust zu gleiten,
Schwärmerisch zu tauchen in die Meere Edens.
Firnlicht fliesst aus ruhigen Spiegel, zarte Bilder
Malen sich an Wolkenwänden und vergehen, wechselnd
Mit den Farben der Gesichter von verklärten Seelen,
Immer höher, weiter, dringt mein sehnsuchtsloses Auge,
Und du reichst mir, Ewiger, lächelnd deinen lautren Wein.

   Das Ziel der Initiation durch die Jahreszeiten   der Gesänge mit individuellen Schreckensbildern von Purgatorium und Hölle, dieses Ziel ist erreicht und heißt die christliche Verklärung nach einer aus der eigenen Dichtung abgeleiteten Passion.

Gesang I0 (S. 113)
   Mit der Eingangsfrage
„Wieviel bleibt uns noch, dir, Erde, zu sagen: Wir sind?“ kehrt das erwählte Ich sich verantwortungsbewusst dem immanenten Sein zu:

Du hast uns zu Gesandten erwählt ins verwilderte Land,
Wir tragen die Botschaft des Steins an die Stufen des Himmels,
Bis das All verwandelt gehorcht unserer irdischen Hand.
Uns, den Dunklen, hast Du Glanz verliehn,
Wir zerbrachen die Druse, gehorchten ihrem Kristall.

Stunde des Aufbruchs, Stunde heilender Blendung,
Spuren des Lichts bleiben beharrlichen Händen,
Das Meer wartet auf neuen Glanz und bewegliche Schiffe,
Lichtet die Anker zu verwandelten Ufern, der Kreis des Glücks
Wird wieder befahren, die Erde gehorcht ihrer himmlischen Geometrie.
Viel bleibt uns dann, dir, Erde, zu sagen : Wir sind,
Wir sind dein Feuer, dein Wasser, deine Verwandlung, dein Wind.
Die Stimmen neuen Tags auf den Orgeln des Basalt,
Stufen, scheinbar endlose Stufen im geschaffenen Rund –
Schale um Schale enthüllt sich lebendiger Grund.

   Epischer Atem weht in den gemessenen Schritten der Spondeen des vorletzten Verses, ehe der einzige Reim in den zehn Gesängen deren letzten Pentameter harmonisch beschließt.

Epilog
   Nach einer leeren Seite folgt der eigentliche Abschluss des Bandes, in Form und Metrum den zehn Gesängen entsprechend, jedoch mit einem Titel versehen:
„Irischer Zeitraum“ (S. 115). Schon in den Gesängen waren markante irische Landschaftsmerkmale angedeutet wie „Steinkreise“ ((I) oder „Orgeln aus Basalt“ (X). Die persönliche Erfahrung früherer Fahrten ans westliche Meer in die Bretagne hatte sich Anfang der 80gerJahre in Südirland in Schull fortgesetzt und durch die eigene Ansiedlung intensiviert. Die Meereslandschaft musste nicht imaginiert werden, sie lebte vor Augen und man konnte sie begehen, von ihr aufgenommen werden. Das dichterische Ich Berthold Dauts hat jetzt eine souveräne Optik, die Raum und Zeit bei der landschaftlichen Begehung bis ins Megalithikum durchdringt und deren Zauber für einen Augenblick enthüllt, indem es im dichterischen Suchen nach vergleichenden Metaphern Schätze aus Märchen und Sagen hebt. Dies ist positiv abgegrenzt und nicht mehr umgekehrt wie in einzelnen Phasen seiner dichterischen Entwicklung, als die Mythen ihn dabei terrorisierten. Begleiten wir ihn abschließend dabei:

Mitunter gerate ich auf die andere Seite des Flusses
Mitten in die Versammlung der Felsenhäupter, Kronen
Schief auf dem moosigen Haar, Mäntel feuchten Winds
Um dornige Zepter. Tropfengirlanden schleifend durch Gras.
Ein reicher Besitz an Schweigen seit zehntausend Jahren!
Vielleicht warten sie längst auf den unterbliebenen Zuspruch,
Daß der getrübte Spiegel der Mythen sich kläre,
Wieder erstände das frühe Bild, imaginiert,
Farbig, in Steine geritzt, scheinbar flüchtige Träume:
Glänzende Arme , Füße im Tanz, sprühende Lippen.

Plötzlich ist da ein Mahl, die Felsenkönige schütteln
Die Bärte, von Fackelbränden gestört stehen sie auf,
Es poltert über den Wolken, ein goldener Kessel erscheint,
Wir schlucken feurigen Trank aus dampfenden Kellen.
Ein reicher Schatz an Gespräch wie vor zehntausend Jahren!
Sagas dröhnender Streiter und starker verwegener Weiber,
Deren berühmtes Haar die Schätze der Könige aufwog,
Vorn an der Klippe glimmt es wie Gold, wie seltnes Geschmeide!
Kam einer davon , hielt er nur Schaum von der Brandung im Arme!
Manchmal bleibt nur Schaum für den Sänger, wenn er den Zauber verriet.
 










[1] Ernst Osterkamp: Poesie der leeren Mitte. Stefan Georges Neues Reich. München (Hanser) 2010, S. 60.
[2] Friedrich Gottlob Wetzel: Nachtwachen. Von Bonaventura (1804/05). In: Karl Balser (HG.): Dichtung der Romantik VI, Hamburg 1960, S. 307.
[3] Vgl. Saint-John-Perse: Winde. Französisch und Deutsch, Übertragung und Nachwort von Friedhelm Kemp. Suhrkamp 1964, S. 120 f.
[4] Vgl. H.G.Lenz (Hg): Der Alchemist Conrad Khunrath. Elberfeld (Humberg 2006.) sowie zur Alchemie  z.B. M.-C. Dumas (HG.): Desnos. Oeuvres. Gallimard 1999, S. 453-457: Le mystère d’Abraham Juif“ (von 1929). S.unten zu Yeats.

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