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Kapitel III: Stimmen und Schatten 1965
In der Mitte dieser elf Gedichte - und damit
zugleich im Zentrum der Gesamtsammlung , die den Titel des Buch noch einmal auf
die Zeitspanne der zweiten Hälfte der 60ger Jahre übertragen, steht
Paul Celan:
Auf den Tod von Paul Celan
Mai
1970
Die
Seine Celan die Seine.
Asche
aus rückblicktagen vom wortgrat.
Dein
schwarzes seil Celan dein atemdocht.
Wo
stummst du nun herzstollen auf
steigst
in den niemandbügel
und
jagst das gestirnte feld?
Mund.
Jüdisch süsser mund.
Gekleidet
wie eine braut
umarmst
du die Neue Stadt.
(S.
55)
Berthold Dauts Grab Gedicht à la Mallarmés „tombeaux“ auf die
Selbsttötung Celans pastichiert nicht nur dessen Stil, sondern addiert sich
nach unseren bisherigen Analysen der Stilmittel seiner eigenen Poesie zu einer
„art poétique“ an exponierter Stelle: ungereimte Terzinen, Verknappung,
Nominalismus, Elemente konkreter Poesie im Versbau und metaphorische
Amalgamierungen nahe an dem Konstrukt der surrealistischen Metapher, die zwei
entfernte
Realitäten
ohne semantische Bezüge willkürlich miteinander verkoppelt.[1]
Celans Schatten war während der Jahre der Lektüre größer geworden, verdunkelt
aber keineswegs die eigene Sprachsetzung, die sich nicht am Rande vom
„wortgrat“ in fragmentarisches Schweigen auflöst. Daut ist sich seines ererbten
formalen Bemühens bewusst. Diese Hommage ist also ein „hybrider“ Text wie bei
Mallarmé, in dem sich Zitate und Eigenes vereinen, aber Celans Stil dominieren
lassen besonders in der Wortbildung und der jüdischen Thematik des Holocaust.
Im ersten Vers steht wie auf einer Grabstele
der Name des Verstorbenen, die „verschlingende“ Seine um ihn herum. Ob er
wusste, dass der Künstlername Celan „Leben“ bedeutet, das hier in ständiger
Gefährdung untergeht und ins himmlische Jerusalem aufsteigt?
Der gegenüber stehende Text „Ezra“ (S. 54)
ist keine Anspielung auf einen hebräischen Zusammenhang, sondern meint den
verfehmten Eszra Pound, den großen Dichter der „Cantos“, der sich hier in
Meeresgrotten weit zurückgezogen hat.
Die
übrigen Gedichte sprechen von Ich-Du-Erfahrungen in jahreszeitlichen
Landschaften, lassen „Leonce“ sprechen in hofmannthalschen gereimten Terzinen
mit einem Schlussvers in gesteigerter Todesmetaphorik am Meeresstrand (S. 56), gehen der Symbolik der in sich
geschlossenen Amethyst-Druse nach (S. 57) und evozieren die Ermordung eines
gehetzten Siegfried (S.59). Die Stimmen sind leer, der „Mund verschlossen im
eis“ (S.57).
„Es
kam keiner.
Niemand
sang.“ (S. 58)
Spuren und Namen verlieren sich in dem
Gefühl der Vergeblichkeit und einer alles reduzierenden Grenzerfahrung:
„Dein
Name: vergrab ihn!“ (S.59).
Das
Wort gebricht jedoch nicht, ist aber nicht mehr zu benennen:
Ein
mund
ging
ins netz
vom
kusse entstellt.
Aber
er sagte
unablässig
einen
heiligen namen.
(Schlussgedicht
S. 60)
[1] Vgl. S. Mallarmé: Poésies. Paris: Gallimard/Poésie 1992, S.
60 ff. die “tombeaux”-Sonette auf den Tod von Edgar Poe, Charles Baudelaire,
Verlaine und die Hommage an Richard Wagner. – Auch Dauts „raron“, vgl. „Stimmen
und Schatten“ S. 47, gehört dazu als
Wanderung zum Grab Rilkes sowie in den späteren Elf Gedichten der Nekrolog auf
René Char, s.u. Vgl. auch „Yeats Grab, Drumcliff, s.u.
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