Sonntag, 13. März 2016

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Kapitel III: Stimmen und Schatten 1965
   
  In der Mitte dieser elf Gedichte - und damit zugleich im Zentrum der Gesamtsammlung , die den Titel des Buch noch einmal auf die Zeitspanne der zweiten Hälfte der 60ger Jahre übertragen,  steht  Paul Celan:

Auf den Tod von Paul Celan
Mai 1970

Die Seine Celan die Seine.
Asche aus rückblicktagen vom wortgrat.
Dein schwarzes seil Celan dein atemdocht.

Wo stummst du nun herzstollen auf
steigst in den niemandbügel
und jagst das gestirnte feld?

Mund. Jüdisch süsser mund.
Gekleidet wie eine braut
umarmst du die Neue Stadt.
(S. 55)
   Berthold Dauts Grab Gedicht  à la Mallarmés „tombeaux“ auf die Selbsttötung Celans pastichiert nicht nur dessen Stil, sondern addiert sich nach unseren bisherigen Analysen der Stilmittel seiner eigenen Poesie zu einer „art poétique“ an exponierter Stelle: ungereimte Terzinen, Verknappung, Nominalismus, Elemente konkreter Poesie im Versbau und metaphorische Amalgamierungen nahe an dem Konstrukt der surrealistischen Metapher, die zwei entfernte
Realitäten ohne semantische Bezüge willkürlich miteinander verkoppelt.[1] Celans Schatten war während der Jahre der Lektüre größer geworden, verdunkelt aber keineswegs die eigene Sprachsetzung, die sich nicht am Rande vom „wortgrat“ in fragmentarisches Schweigen auflöst. Daut ist sich seines ererbten formalen Bemühens bewusst. Diese Hommage ist also ein „hybrider“ Text wie bei Mallarmé, in dem sich Zitate und Eigenes vereinen, aber Celans Stil dominieren lassen besonders in der Wortbildung und der jüdischen Thematik des Holocaust.
   Im ersten Vers steht wie auf einer Grabstele der Name des Verstorbenen, die „verschlingende“ Seine um ihn herum. Ob er wusste, dass der Künstlername Celan „Leben“ bedeutet, das hier in ständiger Gefährdung untergeht und ins himmlische Jerusalem aufsteigt? 
   Der gegenüber stehende Text „Ezra“ (S. 54) ist keine Anspielung auf einen hebräischen Zusammenhang, sondern meint den verfehmten Eszra Pound, den großen Dichter der „Cantos“, der sich hier in Meeresgrotten weit zurückgezogen hat. 
   Die übrigen Gedichte sprechen von Ich-Du-Erfahrungen in jahreszeitlichen Landschaften, lassen „Leonce“ sprechen in hofmannthalschen gereimten Terzinen mit einem Schlussvers in gesteigerter Todesmetaphorik am Meeresstrand  (S. 56), gehen der Symbolik der in sich geschlossenen Amethyst-Druse nach (S. 57) und evozieren die Ermordung eines gehetzten Siegfried (S.59). Die Stimmen sind leer, der „Mund verschlossen im eis“ (S.57).
„Es kam keiner.
Niemand sang.“ (S. 58)

   Spuren und Namen verlieren sich in dem Gefühl der Vergeblichkeit und einer alles reduzierenden Grenzerfahrung:
„Dein Name: vergrab ihn!“ (S.59).
Das Wort gebricht jedoch nicht, ist aber nicht mehr zu benennen:

Ein mund
ging ins netz
vom kusse entstellt.
Aber er sagte
unablässig
einen heiligen namen.
(Schlussgedicht S. 60)



[1] Vgl. S. Mallarmé: Poésies. Paris: Gallimard/Poésie 1992, S. 60 ff. die “tombeaux”-Sonette auf den Tod von Edgar Poe, Charles Baudelaire, Verlaine und die Hommage an Richard Wagner. – Auch Dauts „raron“, vgl. „Stimmen und Schatten“ S. 47, gehört  dazu als Wanderung zum Grab Rilkes sowie in den späteren Elf Gedichten der Nekrolog auf René Char, s.u. Vgl. auch „Yeats Grab, Drumcliff, s.u.

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