Kapitel V: Begegnungen 1970-1985
Schließen gewidmete Gedichte einen dritten
Leser nicht eigentlich aus, besonders wenn man die angesprochene Person
überhaupt nicht kennt und sicherlich durch den Spruch auch nicht weitergehend
kennen lernt? Soll man die Indiskretion begehen, in das Zwiegespräch zwischen
Dichter und Adressat neugierig hinein zu schauen? Gut, es würde wohl nicht im
Druck erscheinen, wäre es ausschließlich privater Natur. Dennoch bleibt ein
Unbehagen, dass hier Dinge formuliert werden, die sich einem Dritten nicht ganz
auftun in seiner indirekten Mitwisserschaft. Bei Stefan George, der diese
Gattung in breitem Umfang pflegte, die Texte mit Namenskürzeln überschrieb,
fühlt sich der Leser oft ausgeschlossen, weil ihm die evozierten Situationen
unbekannt sind. George nennt diese kurzen Gedichte „Tafeln“.[1]
Er versieht diese kleine Sammlung mit
einer Aufschrift:
Verstattet dies
spiel: eure
Flüchtig
geschnittenen
Schatten zum schmuck
für
Meiner angedenken
saal[2]
Damit
wird vor allem deutlich, dass sich der Dichter spielerisch Andenken verschafft
an die bedichtete Person, die die Ehre erfährt,
in eine Freundesgalerie eingefügt zu werden. Würde der Adressat das auch
so empfinden?
Im Exkurs hatten wir mit Berthold Daut in
seinem letzten Aufsatz über die „Geladenen in T.“ gesehen, dass formal bei George diese Tafeln
gegen Ende der Einzelwerke auftauchen.
Jedem der Angesprochenen gebührt dabei eine ganze Seite. Oft spricht der
Dichter den Adressaten in der zweiten Person an mit einem „Du“ als Auftakt,
verfällt dann aber auch in Gemeinsames mit einem „wir“.[3]
Gedenken, Andenken und oft auch Abschied charakterisieren diese ehernen Freundes- und Feindestexte.
Wenn bei Berthold Daut im seinem vorletzten
Kapitel von „Stimmen und Schatten“ „Begegnungen“ der letzten fünfzehn Jahre
gesammelt werden, so sind sie keine unmittelbare Reaktion auf die Krise des
vorangegangenen Kapitels. In formaler Hinsicht scheint diese kleine Gattung
präformiert und es ist zu untersuchen, was ihre spezifische Eigenart ausmacht.
Bis
auf einen Fall werden die angesprochenen Personen im Titel mit ihrem vollen
Namen genannt, am Ende des Zyklus (S. 93 ff.) auch die literarischen
Wegbegleiter Karl Wolfskehl und Stefan George selber, was wir im Exkurs
deutlich zu machen versucht haben. Ist die formale Eröffnung vieler dieser
Gedichte ein direktes „Du“ in georgischer Tradition oder nur eine natürliche Ansprache
nach der Namensnennung?
Diese „Begegnungen“ nachzuvollziehen, ist schwierig, und es fehlt
für den Leser das Gemeinsame, das in der Person des Autors liegt. Am Beispiel
„Für Niklas Rahn“ (S. 82) scheint sich ein
Einstieg leichter zu vollziehen, zumal ausnahmsweise von dem Begegneten eine
Entgegnung vorliegt. Zunächst Daut:
Für Niklas Rahn
Du kommst.
Da legt sich das
wetter.
In dir ist leuchten.
Die mütze sitzt dir
schief
Ein weltmann bist du
In vertragnen sachen.
Du gibst mir dein
gedicht
Von den rostroten
blüten.
Da spüre ich
Wie ahnungslos ich
bin:
Ich weiss viel von
dir
Und weiss nichts!
Niklas Rahn[4]
Bert
Du, Bert, ich seh
dich
Wie du genüsslich
grinst und
Dabei deinen Kopf
schief legst
Wie du den Mund
Gutmütig spitzt und
etwas sagst
Wie du an deiner
Zigarette ziehst
Das Leben lebst in
vollen Zügen
Im Kreise der
Geladenen,
Wie du die Nase
rümpfst
Und zugleich lachst
und sagst
Das ist doch klasse.
Du, Bert, ich seh
dich
Wie du mit der
Rechten
Am Schnurrbart drehst
Und dabei vor dich
starrst,
Wie nichts sich regt
In deinem Gesicht,
dein Lächeln
Höchstens hilflos
kommt und man weiß
Da ist etwas,
Du, Bert, ich seh
dich
Wie deine Stirn sich
faltet
Und du fragst
Ja wirklich?
Beiden Gedichten eignet ein inhaltlicher
Dualismus von Außen und Innen, die in einem überraschenden Widerspruch
zueinander stehen. Während Niklas Rahn
eine detaillierte Beschreibung Berts vornimmt, die im zweiten Teil erstarrt und nicht mehr dessen
Reflexionsvorgang erfasst, verengt sich in Berthold Dauts Gedicht die Wahrnehmung des Weltmannes im Wetter und schlägt bei der
Entgegennahme seines Gedichtes in das Paradox um, dass er von seinem Gegenüber
nichts weiß, zumindest nicht, dass er Gedichte schrieb, was wohl ein völlig neues
Licht auf ihn warf.
In dem Gedicht „Für E.D.“ (S.80) verschleiert Dauts Metaphorik geradezu die
Wahrnehmung und man fragt sich, ob die Widmung nur ein Anlass ist, vom eigenen
Seelenzustand in Rollenspielen zu sprechen:
Du drehst am runenrad
du wirfst den
rollenden leuchtball
ins sommerliche feld.
.. (S. 80)
Das Ich wird auf sich
selbst zurück geworfen in einer metaphysisch hyperbolischen Ausweitung;
Hier bin ich
oft im zwielicht
gewesen
hier warf ich mein
aug in den spiegel
hier sprach
der andre in mir mit
den engeln.
Heut fing ich
einen heissen
tropfende stern.
Neben
diesen bildlich überfrachteten Ansprachen
findet sich auch ein überraschendes
direktes Gegenüber, „Kretisch braun im gesicht“ (S. 83), mit dem man
sich verabredet. Auch in „Für Ulf Wetter“ (S. 84) wird das Gemeinsame erst
geplant, „Gehen wird auf den flohmarkt uns erinnern!“, dann aber als Erinnertes
angefügt. Auch bei Thomas Berger (S. 85)
„.. verdichtete /sich mir
erinnertes Leben“ und verbleibt „als dunkles vermächtnis“ einer Reise in sehr
persönlichen Anspielungen.
Unbenannt
ist eine folgende weibliche Person, von der man meinen könnte, sie existiere
nicht, weil man sich in die Bildwelt der Lasker-Schüler versetzt fühlt. Auch in
dieser imaginären Begegnung haben wir die bekannten Formelemente in der persönlichen
Adaptierung Berthold Dauts, deutlich die Ich-wir-du Abfolge z.B., die sich am
Ende selber auf hier im Text leere
Tafeln setzt:
DU, mit früchten bekränzt,
süsslippig, tänzerin,
das mondhorn am
gürtel.
WIR sind in silbernen
schuhen
gekommen
auf dem wunderteppich
aus Saba,
wo das gras bleicht
unter den herden.
ICH liege bei dir
im mäander unserer
gemeinsamen haut
eingenäht
mit den sichen des
glücks.
Ich weiss:
Unsere namen
stammen vom Sinai
stehn auf den tafeln.
(S. 89)
Die
poetisch sublimierte Begegnung lässt sich über diese literarische Dislozierung hinaus
noch steigern in „Auf das Blau ihrer Augen“ (S. 90), die im Konjunktiv spricht:
„Wenn ich im überblühten hain dich träfe“.
Nach dem Eintauchen in den „spiegel der meditation“ würde er „auf
feldern der Myosotis Palustris neue erwachen.“ Das klingt natürlich für einen
Abschied schöner als „Sumpf-Vergissmeinnicht“.
Zwei Gedichte an den Sohn Stefan umschließen
die „tombeau-Gedichte an George“: zuerst ein elfzeiliges Geburtstagsgedicht („
Dies schenk ich DIR zum elften“, S. 91), als Nr. 10 „Elf runde Steine von
Irlands elf stränden“ und sodann abgesetzt vor den zehn Gesängen als
Schlussgedicht von „Stimmen und Schatten“: „Für Stefan“, S. 99. Hier verliert
sich der Vater in Kindheitserinnerungen, die in der sich abzeichnenden
Situation der Trennung verlässliche Steine im Treibsand der Zeit bleiben.
Seit den „Sprüchen zur Lage“ (Kap. IV), die
erneut die Schaffenskrise thematisierten, und den „Begegnungen“ (Kap. V) mit
den Eviokationen der toten Dichter, vor allem Georges, geht es zum Abschied von
intensiv erlebten dichterischen Zuständen, die die Grenzen entlehnter Formen
erweiterten und zuweilen eher ungewollt sprengten. Die Abfolge der Jahreszeiten
ist dabei ein Leitmotiv gewesen. Am Schluss dieser „Stimmen und Schatten“ hat
Berthold Daut sein fünfzigstes Lebensjahr überschritten. Es sollten acht Jahre
vergehen, bis der kunstvoll angelegte Band erscheinen sollte.
[1] Vgl. Das
Jahr der Seele. GSA IV, 1928, S. 76-87 und besonders S. 79:“.. Erlaubt dass ich
auf meine dächtnistafel/Den frühern gegner grabe – tu desgleichen..“. Alle
Tafeln sind achtzeilig.
[2] Ebda.,
S. 73.
[3] Vgl.
ebda. S. 82 „A.H.“: Die ersten vier Zeilen heben mit „Du“ an, die zweiten mit
„Wir“. George öffnet das Grundschema später z.B. in „ Sprüche an die Lebenden“
und „An die Toten“ (nur mit vollen Vornamen), vgl. „Das neue Reich“, GSA IX,
1928, S. 93 ff.
[4] Manchmal
sind blühende Tage. Gedichte. Bochum 2007, S. 39.
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