Sonntag, 13. März 2016

Kapitel II:

„Eine Amphore die mit Traum und Sternen gefüllt ist“
(1950-1964)
   
   Der landschaftliche Horizont erweitert sich, und das Erlebnis des Meeres tritt deutlicher in den Vordergrund: „Mittelmeerische Stunde“ (S. 24). Stilistisch  reihen sich wieder Bilder aneinander, werden jedoch  mehr und mehr syntaktisch komprimiert. In den drei malerischen Strophen findet sich erst am Schluss ein volles Verb, das die Impressionen ins elementare Meer zurückführt. Der Dichter ist als Betrachter für einen Augenblick gebannt, geblendet und glaubt, in einer Traumwelt zu sein. Die folgenden Strophen zwei und drei spiegeln in subtiler rhetorischer Umkehrkonstruktion den Rhythmus der Dünung, die aufläuft und wieder abfließt (zur Verdeutlichung von uns unterstrichen) und sich dann in Strudeln aufzulösen scheint.
.. 
Dünung atmend im schutt der inseln
Geräusch der brandung
an der hüfte des steins.
Hirtenfeuer, Thymian und Fische
O kalkweisse stunde!

Atem der dünung
schaumschwer und herzlos
saugt die säulen der träume
Türme und bäume
Das oval des himmels
Ins nun drohend bewegte
Verwühlte meer.

Die Traumdimension wirkt entgrenzend und verdichtet zugleich die Beschreibungen. Eher als ein forschender, psychologischer Ansatz gilt eine verschmelzende Grunderfahrung , die George so formulierte:
  „Das wesen der dichtung wie des traumes: dass Ich und Du - Hier und Dort -Einst  und Jetzt nebeneinander bestehen und eins und dasselbe werden.“ (Tage und Taten, GSA 17, S. 86). Daut überhöht diese verketteten Dichotomien durch kühne Metaphern wie in der unverbundenen Gleichsetzung von „amfore“ und „nacht“:
 Du bist die kühle amfore nacht
 die im traum mit sternen gefüllt ist
 gastgeschenk heisserer länder.
..
Du trägst die goldene maske des traums
die mit kühlen lippen lächeln kann
archaisch fremd.
(S.25)
Er dringt dabei kurz bis in die archaische Tiefe des Mythos vor: zu Ariadne und Theseus („Labyrinth“, S. 27: „Im sommer wars/als Ariadne mir den Faden schenkte./Doch Theseus herz/Schlug nicht in mir“)), den Argonauten mit Orpheus („Die Amme“, S. 28) und schon ins westliche Meer nach Ophir und Avalun („Traum“, S. 31).
Auf freibeutermeeren
Mit hochbordigen schiffen
Nach land Ophir
Der fernwehsegel
vagantischer fahrt.
(ebda.)
Die kühne Metaphorik „fernwehsegel“ geht in der Zusammenschreibung noch einen Schritt weiter in der Traum-Amalgamisierung des Bildes, das hier zugleich seine Bedeutung mit sich trägt. Dies erzeugt eine Ausdrucksverknappung und  muss Wort für Wort errungen werden:
Stundenlang
kaure ich vor einem tisch
ohne ein wort aufs papier zu schreiben.
Die tusche trocknet ein

die feder wird rosten –
Aber wieviel sinn!
(S. 35)
   Natürlich kennt Berthold Daut Mallarmés Gedicht „Brise marine“, wo der Dichter zu Hause vor der leeren Seite sitzt und ihn der Traum von einer Fahrt übers Meer inspirativ abschweifen, jedoch letztlich die weiße Seiten noch füllen lässt. [1] Die bildlose Leere des Dichters Daut erscheint ihm selber plötzlich nicht mehr negativ, sondern paradoxerweise sinngebend, nur dass dieser offene Sinn nicht benannt wird oder werden kann.
   Das Schreiben ist das primäre Mittel der Selbsterfahrung angesichts der bewusst wahr genommenen oder geträumten Landschaften und maritimen Evasionen zu fernen Küsten: den „Geograph“ (S. 30) treibt seine Sehnsucht durch die Kontinente vom Kilimandscharo über Tibet zu den Tipis der Navajo. Mexikos blutige Kulturen werden evoziert  (S.32).  Die Begegnung mit dem Du vollzieht sich in geographisch stimulierenden Kontexten. Eine kontinuierliche Entwicklungslinie ist dabei in der Text-Auswahl der beiden Eingangskapitel nicht deutlich auszumachen und soll es wohl auch nicht. Furcht vor dem Verlassen-Werden dessen, ohne den man nicht mehr leben kann, wird als Albtraum in der einleitenden dritten Prosaskizze thematisiert. Dass die mit „du“ Angesprochen wohl männlich sind, ergibt sich aus der Struktur der bündischen Fahrtengruppen der 50ger Jahre. Die Emotionen dieser Freundschaften bedienen sich dabei durchaus erotischer Symbolik:

Pablo
(für Else Lasker-Schüler)
Deine spur im weichen sand
deine spur gefärbt nun
mit meinem blut, Pablo.

Mit meinem verlangen
das ich dir nachtrug:
ein bündel scharfer messer und pfeile.

Deine spur, Pablo, verwischte das meer.
(S. 26)
  Dienten die Parallelen zu maritimen Mythen einer Überhöhung des Erlebten in zeitloser Vergegenwärtigkeit, so scheint Eigenes sich durch die Bezugnahme auf die Leseerfahrungen zu veredeln. Die Expressionisten Benn, Lasker -Schüler werden bei Daut ebenso wie später Rilke, Saint-John Perse und sogar ein Paul Celan kompatibel mit dem sich öffnenden Georgischen Rahmen, hier formal durch die bei Lasker-Schüler dominanten Terzinen, doch vor allem in inhaltlicher Hinsicht. Pablo ist bei ihr ein „stolzer Eingeborener“, ein nächtlicher Besucher im fernen exotischen Milieu:
Es ist mein ewiger Liebesgedanke,
Der zu dir will.[2]
Mag diese Sehnsucht sich hier nach langem Warten nächtlich erfüllen, das ganze Gedicht ist eigentlich eine Ansprache an den Abwesenden.
   Berthold Daut dramatisiert das Leiden seines Ich durch das Bild der offenen Wunde. Das Meer, das bei Lasker Schüler nicht explizit genannt ist, verwischt die blutige Spur der eher nicht erfüllten Ich-Du Beziehung. Nicht realem Geschehen oder einem Namenvetter Pablo soll nachgespürt werden. Erfüllung vollzieht sich als Klage in einer ambivalenten Bildlichkeit in  Seelenverwandtschaft mit der Dichterin Else Lasker- Schüler. Ihr Schatten ist sichtbar:
Im dunklen segel
meines herzens erlischt ein abend.

Wenn der wind dreht
stürzen finstere vögel
in mein schwankendes boot.

Wenn der wind dreht
hör ich nicht mehr den steuermann.
Kalte gischt sprüht auf hände und stirn.

Im dunklen segel
meines herzens erlischt ein abend.
(S. 37)
.  Die Tages- und Jahreszeiten waren das kompositorische Gerüst dieser ersten beiden Kapitel. Jetzt nähert sich das Ende des Jahres, das in erweiterter Weise  ein Jahr der Seele geblieben ist. Berthold Daut spielt direkt darauf an:
Wie steigen in das jahr die tage!
Nun fallen früchte ihrer schwere zu
Und füllen reif des sommers schale
Die voller wird und sinkt.
(S. 43)
Bei George hieß es:
Es lacht in dem steigenden jahr dir
Der duft aus dem garten noch leis.
Flicht in dem flatternden haar dir
Eppich und ehrenpreis-
..
Verschweigen wir  was uns verwehrt ist-
Geloben wir glücklich zu sein
Wenn auch nicht mehr beschert ist
Als noch ein rundgang zu zwein.
(GSA: Das Jahr der Seele, 1928, S. 93 von 1897)


Auswahl II

Traumvögel
Über oktoberzisternen gebückt
Ahnungen – leise – im schlaf
Nach vergeblichen flügen.
Der bettler hat die sichel gezückt
Die taschen gefüllt mit freundlichen lügen..

Flügel düster am schattengestad
Ihre glätte streift unser schlafen:
Mit horchendem ohr an die erde gepresst
An die kalten steine im hafen.

Wir hören die fremden schreie vom meer
Und werden die flüge begreifen:
Morgen füllt die zisternen das meer
Werden die lügen reifen.
(S. 41)

Alle züge haben verspätung.
In regenstürmen erblindet das letzte signal.

Lass dich nicht täuschen
wenn sie lachen
sie meinen etwas andres
wenn sie klagen wenn sie liebe wollen
abends, so hilflos im gesicht.

Leben sie noch in der tundra des herzens?
Ihre fahrscheine zur ewigkeit sind wechsel
Und anträge auf automatisches gehirn.

Du hebst mir deine stirn entgegen
Durch unser haar stürzt wind.
Meine augen sind müd
Und halten dich nicht mehr zurück.

Alle züge haben verspätung.
In regenstürmen erblindet das letzte signal.
(S. 44)

Jahresgedicht

Weisse flächen sind draussen, spuren im neuschnee
Blaues eis, dem die sohle sich zaghafter anschmiegt,
Ästeschatten, das langvertraute bild des Orion.
Wende dich in das jahr der träume zurück!
Ach, nur ein jahr? Vergangen scheint ein jahrhundert.
Drinnen brennt schon der docht, der schatten herbeiholt.
Zögernd drehst du die sanduhr, füllst in das glas den wein.
Gestern und heut, dunkel und licht werden ein.
(S. 46)








[1] Übersetzt als „Seebrise“, vgl. Stefan George: Zeitgenössische Dichter. Zweiter Teil, GSA 1929, S.35.
[2]  Else Lasker- Schüler ; „Vermischte Gedichte“. In:  ELS: Dichtungen und Dokumente. München (Kösel) 1951,  S. 40 f.

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