Kapitel II:
„Eine Amphore die mit Traum und Sternen
gefüllt ist“
(1950-1964)
Der landschaftliche Horizont erweitert sich,
und das Erlebnis des Meeres tritt deutlicher in den Vordergrund:
„Mittelmeerische Stunde“ (S. 24). Stilistisch
reihen sich wieder Bilder aneinander, werden jedoch mehr und mehr syntaktisch komprimiert. In den
drei malerischen Strophen findet sich erst am Schluss ein volles Verb, das die
Impressionen ins elementare Meer zurückführt. Der Dichter ist als Betrachter
für einen Augenblick gebannt, geblendet und glaubt, in einer Traumwelt zu sein.
Die folgenden Strophen zwei und drei spiegeln in subtiler rhetorischer
Umkehrkonstruktion den Rhythmus der Dünung, die aufläuft und wieder abfließt
(zur Verdeutlichung von uns unterstrichen) und sich dann in Strudeln aufzulösen
scheint.
..
Dünung
atmend im schutt der inseln
Geräusch
der brandung
an
der hüfte des steins.
Hirtenfeuer,
Thymian und Fische
O
kalkweisse stunde!
Atem
der dünung
schaumschwer
und herzlos
saugt
die säulen der träume
Türme
und bäume
Das
oval des himmels
Ins
nun drohend bewegte
Verwühlte
meer.
Die
Traumdimension wirkt entgrenzend und verdichtet zugleich die Beschreibungen.
Eher als ein forschender, psychologischer Ansatz gilt eine verschmelzende
Grunderfahrung , die George so formulierte:
„Das wesen der dichtung wie des traumes: dass
Ich und Du - Hier und Dort -Einst und
Jetzt nebeneinander bestehen und eins und dasselbe werden.“ (Tage und Taten,
GSA 17, S. 86). Daut überhöht diese verketteten Dichotomien durch kühne
Metaphern wie in der unverbundenen Gleichsetzung von „amfore“ und „nacht“:
Du bist die kühle amfore nacht
die im traum mit sternen gefüllt ist
gastgeschenk heisserer länder.
..
Du
trägst die goldene maske des traums
die
mit kühlen lippen lächeln kann
archaisch
fremd.
(S.25)
Er
dringt dabei kurz bis in die archaische Tiefe des Mythos vor: zu Ariadne und
Theseus („Labyrinth“, S. 27: „Im sommer wars/als Ariadne mir den Faden
schenkte./Doch Theseus herz/Schlug nicht in mir“)), den Argonauten mit Orpheus
(„Die Amme“, S. 28) und schon ins westliche Meer nach Ophir und Avalun
(„Traum“, S. 31).
Auf
freibeutermeeren
Mit
hochbordigen schiffen
Nach
land Ophir
Der
fernwehsegel
vagantischer
fahrt.
(ebda.)
Die
kühne Metaphorik „fernwehsegel“ geht in der Zusammenschreibung noch einen Schritt
weiter in der Traum-Amalgamisierung des Bildes, das hier zugleich seine
Bedeutung mit sich trägt. Dies erzeugt eine Ausdrucksverknappung und muss Wort für Wort errungen werden:
Stundenlang
kaure
ich vor einem tisch
ohne
ein wort aufs papier zu schreiben.
Die
tusche trocknet ein
die
feder wird rosten –
Aber
wieviel sinn!
(S.
35)
Natürlich kennt Berthold Daut Mallarmés
Gedicht „Brise marine“, wo der Dichter zu Hause vor der leeren Seite sitzt und
ihn der Traum von einer Fahrt übers Meer inspirativ abschweifen, jedoch
letztlich die weiße Seiten noch füllen lässt. [1]
Die bildlose Leere des Dichters Daut erscheint ihm selber plötzlich nicht mehr
negativ, sondern paradoxerweise sinngebend, nur dass dieser offene Sinn nicht
benannt wird oder werden kann.
Das Schreiben ist das primäre Mittel der
Selbsterfahrung angesichts der bewusst wahr genommenen oder geträumten
Landschaften und maritimen Evasionen zu fernen Küsten: den „Geograph“ (S. 30)
treibt seine Sehnsucht durch die Kontinente vom Kilimandscharo über Tibet zu
den Tipis der Navajo. Mexikos blutige Kulturen werden evoziert (S.32).
Die Begegnung mit dem Du vollzieht sich in geographisch stimulierenden
Kontexten. Eine kontinuierliche Entwicklungslinie ist dabei in der Text-Auswahl
der beiden Eingangskapitel nicht deutlich auszumachen und soll es wohl auch
nicht. Furcht vor dem Verlassen-Werden dessen, ohne den man nicht mehr leben
kann, wird als Albtraum in der einleitenden dritten Prosaskizze thematisiert.
Dass die mit „du“ Angesprochen wohl männlich sind, ergibt sich aus der Struktur
der bündischen Fahrtengruppen der 50ger Jahre. Die Emotionen dieser
Freundschaften bedienen sich dabei durchaus erotischer Symbolik:
Pablo
(für
Else Lasker-Schüler)
Deine
spur im weichen sand
deine
spur gefärbt nun
mit
meinem blut, Pablo.
Mit
meinem verlangen
das
ich dir nachtrug:
ein
bündel scharfer messer und pfeile.
Deine
spur, Pablo, verwischte das meer.
(S.
26)
Dienten die Parallelen zu maritimen Mythen
einer Überhöhung des Erlebten in zeitloser Vergegenwärtigkeit, so scheint
Eigenes sich durch die Bezugnahme auf die Leseerfahrungen zu veredeln. Die
Expressionisten Benn, Lasker -Schüler werden bei Daut ebenso wie später Rilke,
Saint-John Perse und sogar ein Paul Celan kompatibel mit dem sich öffnenden
Georgischen Rahmen, hier formal durch die bei Lasker-Schüler dominanten
Terzinen, doch vor allem in inhaltlicher Hinsicht. Pablo ist bei ihr ein
„stolzer Eingeborener“, ein nächtlicher Besucher im fernen exotischen Milieu:
Es
ist mein ewiger Liebesgedanke,
Der
zu dir will.[2]
Mag
diese Sehnsucht sich hier nach langem Warten nächtlich erfüllen, das ganze
Gedicht ist eigentlich eine Ansprache an den Abwesenden.
Berthold Daut dramatisiert das Leiden seines
Ich durch das Bild der offenen Wunde. Das Meer, das bei Lasker Schüler nicht
explizit genannt ist, verwischt die blutige Spur der eher nicht erfüllten
Ich-Du Beziehung. Nicht realem Geschehen oder einem Namenvetter Pablo soll
nachgespürt werden. Erfüllung vollzieht sich als Klage in einer ambivalenten
Bildlichkeit in Seelenverwandtschaft mit
der Dichterin Else Lasker- Schüler. Ihr Schatten ist sichtbar:
Im
dunklen segel
meines
herzens erlischt ein abend.
Wenn
der wind dreht
stürzen
finstere vögel
in
mein schwankendes boot.
Wenn
der wind dreht
hör
ich nicht mehr den steuermann.
Kalte
gischt sprüht auf hände und stirn.
Im
dunklen segel
meines
herzens erlischt ein abend.
(S.
37)
. Die Tages- und Jahreszeiten waren das
kompositorische Gerüst dieser ersten beiden Kapitel. Jetzt nähert sich das Ende
des Jahres, das in erweiterter Weise ein
Jahr der Seele geblieben ist. Berthold Daut spielt direkt darauf an:
Wie
steigen in das jahr die tage!
Nun
fallen früchte ihrer schwere zu
Und
füllen reif des sommers schale
Die
voller wird und sinkt.
…
(S.
43)
Bei
George hieß es:
Es
lacht in dem steigenden jahr dir
Der
duft aus dem garten noch leis.
Flicht
in dem flatternden haar dir
Eppich
und ehrenpreis-
..
Verschweigen
wir was uns verwehrt ist-
Geloben
wir glücklich zu sein
Wenn
auch nicht mehr beschert ist
Als
noch ein rundgang zu zwein.
(GSA:
Das Jahr der Seele, 1928, S. 93 von 1897)
Auswahl II
Traumvögel
Über
oktoberzisternen gebückt
Ahnungen
– leise – im schlaf
Nach
vergeblichen flügen.
Der
bettler hat die sichel gezückt
Die
taschen gefüllt mit freundlichen lügen..
Flügel
düster am schattengestad
Ihre
glätte streift unser schlafen:
Mit
horchendem ohr an die erde gepresst
An
die kalten steine im hafen.
Wir
hören die fremden schreie vom meer
Und
werden die flüge begreifen:
Morgen
füllt die zisternen das meer
Werden
die lügen reifen.
(S.
41)
Alle züge haben verspätung.
In
regenstürmen erblindet das letzte signal.
Lass
dich nicht täuschen
wenn
sie lachen
sie
meinen etwas andres
wenn
sie klagen wenn sie liebe wollen
abends,
so hilflos im gesicht.
Leben
sie noch in der tundra des herzens?
Ihre
fahrscheine zur ewigkeit sind wechsel
Und
anträge auf automatisches gehirn.
Du
hebst mir deine stirn entgegen
Durch
unser haar stürzt wind.
Meine
augen sind müd
Und
halten dich nicht mehr zurück.
Alle
züge haben verspätung.
In
regenstürmen erblindet das letzte signal.
(S.
44)
Jahresgedicht
Weisse
flächen sind draussen, spuren im neuschnee
Blaues
eis, dem die sohle sich zaghafter anschmiegt,
Ästeschatten,
das langvertraute bild des Orion.
Wende
dich in das jahr der träume zurück!
Ach,
nur ein jahr? Vergangen scheint ein jahrhundert.
Drinnen
brennt schon der docht, der schatten herbeiholt.
Zögernd
drehst du die sanduhr, füllst in das glas den wein.
Gestern
und heut, dunkel und licht werden ein.
(S.
46)
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